Jugend- und Freizeiteinrichtung Jugend- und Freizeiteinrichtung: "Das Boot" wird zur Dunkelkammer

weissenfels/MZ - Unbeholfen tasten Niclas, Lucas und Anastasia auf dem Tisch herum. Den Griff von Messer, Gabel und Löffel haben sie gefunden. Nun fahren sie vorsichtig mit den Fingerspitzen über die vordere Stelle des Plastikbesteckes. Niclas, Lucas und Anastasia sind „blind“. Zumindest wird dieser Zustand an diesem Nachmittag in der Jugend- und Freizeiteinrichtung „Das Boot“ in Weißenfels simuliert. Die Kinder sollen möglichst realistisch empfinden, wie sich nichtsehende Menschen im Alltag fühlen.
Fenster mit Folie beklebt
Dicht umringt ist der Leiter der von der IBLM geführten Einrichtung Thomas Ganz, als er fragt, wer als nächstes dran sein möchte. Ganz hat sich Mühe gegeben. Er hat die Fenster mit schwarzer Folie zugeklebt und die Ränder mit Paketklebeband versiegelt. Der Tisch ist zur Sicherheit der Kinder mit Plastik- und Papp-Geschirr gedeckt. Niemand soll durch Scherben bei dem Experiment zu Schaden kommen. Stockdunkel ist es in dem Raum, als er das Licht ausknipst. Kichernd, um die Unsicherheit zu überspielen, suchen sich die Jungen und Mädchen nacheinander ihren Platz. Sie versuchen, sich das Wasser einzuschenken und das Toastbrot zu schneiden. Es wird ruhig. Die Jungen und Mädchen konzentrieren sich. Ganz macht das Licht wieder an. In einem Toastbrot steckt eine Gabel, Wasser tropft von der Tischkante auf den Boden. Soeben haben die Kinder gelernt, wie schwer es ist, sich in der dunklen Welt zurechtzufinden. Blinde Menschen kennen sie. „Ich habe mal einen Mann gesehen. Der wurde von einem Hund mit Geschirr und Griff geführt und in der anderen Hand hatte er einen Stock“, erzählt der achtjährige Lucas.
„Wenn man nichts sieht, dann knallt man gegen Dinge“, sagt der fünfjährige Marcus. Er wolle, dass die Kinder lernen, wie es in der Welt zugeht, in der die Augen nicht helfen, sondern die Menschen mit ihren anderen Sinnen „sehen“, erklärt Thomas Ganz. Dabei kommt bei ihm aber der Spaß nicht zu kurz. „Falls es nicht schmeckt, habt ihr den Pappteller im Mund“, scherzt er in der Dunkelheit.
Es klopft an der Tür. Die Behindertenbeauftragte des Burgenlandkreises Ines Prassler steht auf der Schwelle. Sie ist von Ganz eingeladen worden. Es ist eine Bitte, der sie gerne nachgekommen ist. Normalerweise ist Ines Prassler an Schulen zu Gast. Mit von der Partie ist dann ganz oft Corinna Blum. Sie ist blind und erzählt den Schülern vom Leben aus ihrer „Sicht“. Sie ist dieses Mal allerdings nicht dabei, aber Ines Prassler brachte dafür einen großen Koffer mit. Sie greift hinein und holt ein Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel heraus. Der Würfel hat keine Punkte, sondern kleine Nägel. Sie helfen beim Erkennen der Zahlen. Die Figuren werden gesteckt. Und dann ist da noch ein Ball. Der ist zum Fußballspielen und damit das für die Kinder funktioniert, ist in ihm eine Schelle. So können die Knirpse kicken und hören, wohin er rollt. Außerdem brachte Prassler noch Uhren mit, von denen die Zeit nicht mit den Augen abgelesen wird. Vielmehr sprechen sie oder aber es kann anhand der Zeiger die Zeit ertastet werden. Die Kinder vergessen hingegen die Zeit. Sie sind fasziniert von der Welt, in der nicht die Augen sehen, sondern Hände, Ohren, Nase und Füße ihnen eine andere Sichtweise eröffnen.
Fahrräder werden gebraucht
Thomas Ganz scheint zufrieden. Das Ziel ist erreicht. Den Kindern zu zeigen, dass behinderte Menschen zwar anders wirken, aber vielleicht nicht anders sind. Er hat noch ein Anliegen. Die Fahrradwerkstatt vom Boot braucht Nachschub. Das heißt konkret, es werden nicht mehr benötigte Drahtesel gebraucht, damit er mit den Kindern und Jugendlichen der Einrichtung in den Frühling radeln kann. Rahmen, Felgen, Reifen, Sattel und Luftpumpen kann er gut gebrauchen. Die Drahtesel werden dann in der Werkstatt aufgemöbelt.