Jubiläum Jubiläum: Als die Brücke weg war
weissenfels/MZ. - Immer wieder zückt Gisela Peter ein Taschentuch, um sich die Tränen aus dem Gesicht zu wischen. "Es war eine Strafe, zu dieser Zeit Kind zu sein", sagt die heute 76-jährige Weißenfelserin. Zu tief sitzen die Erinnerungen an das Jahr 1945, kurz vor Kriegsende. Ihre sieben Jahre ältere Freundin Ilse Wagner nickt, während sie in alten Fotoalben blättert.
Als die Nazis damals am 12. April die Saalebrücken gesprengt hatten, war Gisela Peter neun Jahre alt. Schon Tage zuvor hatte der Buschfunk orakelt, dass die Sprengung beschlossene Sache gewesen sei, um den amerikanischen Soldaten den Weg abzuschneiden. "Man, die Amis waren doch nicht so blöde, sich davon abschrecken zu lassen. Sie kamen von allen Seiten und kesselten das Schloss und die Bergschule ein", erinnert sich die Seniorin noch genau. Beide Gebäude waren als Lazarette und später für die Umsiedler eingerichtet worden.
Als die große Brücke gesprengt wurde, saß Gisela Peter mit ihrer Mutter und Nachbarn in einem Luftschutzkeller in der Burgstraße in der Altstadt. In die Schule, die sich damals in der Weinbergstraße als sogenannte "Landmannschule" befand, konnte sie nicht mehr gehen, auch nicht ihre älteren Geschwister in der Neustadt besuchen. Doch das Abenteuer lockte über provisorisch gelegte Gleise an der damaligen Dreizehn-Bogen-Eisenbahnbrücke, die durch das Sprengen in der Mitte zusammengebrochen war, über Umwege in die Neustadt zu gelangen. Der Hunger war groß. In der Schlachthofstraße befand sich ein riesiges Lebensmittellager.
"Meine ältere Schwester Lore hat die Familie mit Essen versorgt, ich half ihr, so gut ich das als Jüngste eben konnte", erzählt Gisela Peter. "Und ich war ganz scharf auf die Dropse, diese Bonbons zum Lutschen schmeckten mir so unheimlich gut." Natürlich habe sie auch Kartoffeln gestoppelt und Kohlen geklaut, um sich nützlich zu machen. "Ich konnte aber nur allerhöchstens drei, vier Briketts schleppen, mich hat auch keiner erwischt - das war mein Glück", sagt sie.
Als die große Saale-Eisenbahnbrücke gegen 17 Uhr und anschließend die Horst-Wessel-Brücke (Große Brücke) an jenem 12. April 1945 in die Luft gesprengt wurde, war Ilse Wagner 15 Jahre alt und nicht in ihrer Heimatstadt. "Ich befand mich zu der Zeit auf dem Lande in Golzen bei Laucha, um eine Haushaltslehre zu machen", blickt die Frau mit den Gehstützen zurück. Als sie heim kam, erfuhr sie von Opa Herrmann und Oma Anna Riebel, die in der Mittelschule - der heutigen Volkshochschule - wohnten, Schreckliches.
"Die Amerikaner hatten meine Großeltern beschuldigt, an der Brückensprengung beteiligt gewesen zu sein", berichtet die 83-jährige Saalestädterin mit bewegten Worten. "Dabei waren das die Hitlerleute, für Oma und Opa ging alles glimpflich ab", sagt Ilse Wagner froh.
Weil auch sie in der Altstadt wohnte und die Brücken als Verbindung zur Neustadt fehlten, nutzte sie wie Gisela Peter die Fähren. Die Fischer-Familien Nöhring und Frahnert betrieben diese Wasserfahrzeuge, bis Behelfsbrücken errichtet wurden. Als die wieder aufgebaute Brücke eingeweiht wurde - waren die Weißenfelserinnen erleichtert. "Doch alles war plötzlich selbstverständlich", bekennt Gisela Peter. Täglich ging sie drüber oder fuhr mit dem Bus zur Arbeit in die Schuhfabrik "Banner des Friedens".