"Immer auch ein wenig Lampenfieber" "Immer auch ein wenig Lampenfieber": Sängerin Annett Louisan spielt in Weißenfels

Weissenfels - Der Terminkalender von Annett Louisan ist gut gefüllt. Zehn Minuten Zeit aber bleiben für ein Gespräch mit der Frau, die vor zwei Jahren mit 40 erstmals Mutter geworden ist. Alexander Kempf sprach mit ihr über kleine Städte und große Sorgen.
Radio, Schallplatte oder Streamingdienst - wie hören Sie eigentlich Musik?
Annett Louisan: Zu Hause höre ich gerne Schallplatten und wenn ich unterwegs bin dann Spotify.
Sie haben also noch eine klassische Schallplattensammlung?
Mein Mann und ich haben unsere Sammlungen zusammengepackt. Wir haben auch noch alte Boxen aus den Sechzigern. Das einzige Problem ist, dass der Schallplattenspieler und der Verstärker ständig kaputt sind. Diese alten Geräte sehen so schön aus und klingen so toll, aber langsam überlege ich mir wirklich, einen neuen Schallplattenspieler zuzulegen.
Ihr neues Album „Kleine große Liebe“ ist auf Vinyl erschienen. Viele Vorgänger gab es nur auf CD - warum?
Das ist die Schuld meiner Plattenfirma. Die haben sich früher immer sehr gewehrt gegen eine Schallplattenpressung. Ich habe ihnen deswegen ständig in den Ohren gelegen. Aber vielleicht war ich auch nicht dominant genug. Mittlerweile ist es aber so, dass auch Plattenfirmen wieder daran interessiert sind, Vinylauflagen herauszubringen. Bei so wenigen CD-Verkäufen ist Vinyl irgendwie wieder interessant geworden. Da konnte ich es diesmal durchdrücken und bin ganz froh drüber.
Auf dem Titel „Belmondo“ Ihrer neuen Platte beschäftigen Sie sich mit dem Thema Lustverlust. Sie selbst stehen seit Jahren auf der Bühne - wie bewahrt man sich da die Lust am Auftritt?
Mit viel Respekt vor der Bühne und dem Publikum. Ich kann leider auch gar nicht anders. Wenn ich auf die Bühne gehe, habe ich davor unglaublich Respekt. Jedes Mal ist es anders. Und mir gelingt es auch, Titel, die ich schon wahnsinnig oft gesungen habe, neu zu fühlen. Das ist eine große Leidenschaft und mit das Schönste, was es gibt, in die Gesichter der Menschen zu schauen und dann zu sehen, was passiert.
Also haben Sie noch nie gedacht: Mensch, heute schon wieder auf einer Bühne?
Mit dem ersten Schritt auf die Bühne kommt immer auch ein Lampenfieber, das ich versuche in Konzentration umzuwandeln. Dann weiß man, es kann alles passieren, bleib hier mit deinen Gedanken und geh da rauf. Das macht was mit einem und man wird nie routiniert. Nur nach 30 Tagen auf Tour grüßt beim Soundcheck vielleicht mal das Murmeltier, ich will nach Hause und frage mich - was hast du dir nur für einen Beruf rausgesucht? Aber das ist schnell verflogen.
Im Juli spielen Sie in Weißenfels. Beschäftigt man sich vorher mit seinem Veranstaltungsort? Habe Sie Weißenfels schon gegoogelt?
Ich habe das früher mal gemacht. Es gab Phasen, wo ich geschaut habe, was es da historisch alles gibt. Aber - ganz ehrlich - jetzt mit Kind denke ich von jetzt bis heute Abend. Das ist Improvisation pur und man kann ja gar nicht richtig vorplanen. Da hat sich viel verändert.
Weißenfels liegt in Sachsen-Anhalt. Auch Sie stammen aus dem Bundesland, kommen aus Schönhausen an der Elbe. Welche Verbindung haben Sie zu Sachsen-Anhalt? Ist es für Sie ein Stück alte Heimat?
Ich habe zwölf intensive Jahre meines Lebens dort verbracht und bin da aufgewachsen. Erst kurz vor der Pubertät bin ich nach Hamburg umgezogen. Doch je älter ich werde, desto mehr merke ich auch, wie die Gegend und die Leute mich geprägt haben. Zu dem Wort Sachsen-Anhalt habe ich aber ein merkwürdiges Verhältnis, da es das früher nicht gab. Ich bin eher im Bezirk Magdeburg und im Kreis Havelberg groß geworden. Dort bin ich aber leider nur noch selten, weil auch meine Großeltern nicht mehr leben. Aber jedes Mal, wenn ich dort vorbeifahre, hoffe ich etwas Zeit zu haben, um auch Tanten und Onkels zu treffen.
Sie leben in Hamburg. Viele zieht es, wenn sie selber Eltern werden, zurück in die Heimat. Käme das auch für Sie infrage?
Ich liebe die Natur und mache auch wahnsinnig gerne Urlaub in ihr. Aber ich brauche die Großstadt im Kampf gegen die Tristesse des Alltags. Ich brauche Kulturmenschen um mich und habe auch etwas Angst vor dem Kleinstadtleben und dem Dorfleben - weil man dort oft auch weniger Toleranz antrifft. Ich bin ein Stadtmensch, brauche Aufgeschlossenheit und einen weiten Horizont.
Bei den Kommunalwahlen gab es zuletzt sichtbare Unterschiede zwischen Stadt und Land. Beschäftigt Sie das als Künstler?
Natürlich beschäftigt einen das. Das macht mir sogar Angst und Sorge. Das ist eine Entwicklung, die ich direkt nach dem Mauerfall beobachtet habe. Da haben sich Klassenkameraden plötzlich Glatzen geschoren und Springerstiefel angezogen. Es ist leider weltweit zu beobachten, dass, wenn Menschen unzufrieden sind, ein bestimmtes Gedankengut greift und man Angst vor Fremden entwickelt. Man sagt ja, wenn sich irgendwo Intoleranz entwickelt, sollte man genau da hinfahren. Ich versuche als Künstlerin die Menschen zu vereinen und habe eine klare Positionierung. Ich verstehe mich als Erdenbewohnerin und Europäerin, die der Meinung ist, dass weltweit noch viel getan werden muss, damit ein gewisser Lebensstandard nicht unterschritten wird. Sonst wird es uns irgendwann allen auf die Füße fallen.
Am 19. Juli tritt Annett Louisan auf dem Weißenfelser Schloss auf. (mz)