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Homosexualität in Weißenfels Homosexualität in Weißenfels: Liebe auf den zweiten Blick

Von Bärbel Schmuck 27.10.2013, 14:12
Verliebt, verlobt und nun frisch verheiratet: Christian Raschdorf und Ronny Lehmann (von links) stoßen vor dem Fürstenhaus mit Sekt an.
Verliebt, verlobt und nun frisch verheiratet: Christian Raschdorf und Ronny Lehmann (von links) stoßen vor dem Fürstenhaus mit Sekt an. Schmuck Lizenz

Weißenfels/MZ - Der Tag ist wie gemacht zum Heiraten, Die Luft sanft wie Seide, dazu scheint die Sonne. Alles passt und hat Stil. Ronny Lehmann (23) und Christian Raschdorf (30) tragen statt der gewohnten Soldatenuniformen anthrazitfarbige Nadelstreifenanzüge und frische Orchideenblüten in dezentem Pink und blassem Gelb an den Revers. Die beiden Männer, die sich seit zwei Jahren kennen und lieben, haben am Sonnabend im barocken Fürstenpalais in Weißenfels geheiratet. Ohne Brautstrauß, denn es gibt keine Braut, weil sich das gleichgeschlechtliche Paar so sieht, wie es ist - zweimal männlich und gleichberechtigt.

Bei Klaviermusik mit einem Rocksong nach Wunsch von Tina Turner und Eros Ramazotti im Duett werden die Zeitsoldaten aus der Bundeswehrkaserne Sachsen-Anhalt in Anwesenheit ihrer Familien und Angehörigen von Standesbeamtin Birgit Patzschke getraut. Vor dem sanierten Denkmal im Stadtzentrum warten enge Freunde und liebe Bekannte, um zu gratulieren und bei Musik aus dem Musicalfilm „Sister Act“ mit der von beiden Männern sehr verehrten Whoopi Goldberg mit einem Glas Sekt anzustoßen.

Danach geht es mit einem durchdringenden Tatütata in einem knallroten Feuerwehrauto durch das Stadtzentrum. Ein junger Mann der Feuerwehr-Oldtimerfreunde aus Aschersleben sitzt am Steuer und genießt als Chauffeur die Ehrenrunde. „Beide haben sich etwas Besonderes für ihren großen Tag gewünscht“, erklärt der Fahrer, bevor die Tour zur Hochzeitsfeier in ein ausgesuchtes Lokal im Burgenlandkreis führt.

Vom Vorgesetzten zum Geliebten

„Es war nicht Liebe auf den ersten Blick“, ist vorher von Ronny Lehmann im gemeinsamen Zuhause im Gespräch mit der MZ zu hören. „Christian wurde im Januar 2011 mein Vorgesetzter beim Bund“, sagt der schlanke Blonde, der am Süßen See bei Eisleben großgeworden ist, dort sein Hobby zum Beruf machte und eine Lehre als Koch absolvierte. In der Großküche wollte der ehrgeizige Mann nicht alt werden, sondern sah seine berufliche Zukunft beim Bund.

Er meldete sich freiwillig zum Wehrdienst und wurde später Zeitsoldat. „So kam ich nach Weißenfels“, sagt Ronny Lehmann, der Mode und Kosmetik liebt, in der hübschen Wohnung ein Händchen fürs Dekorieren hat und wie sein Lebenspartner Christian, der jetzt den Familiennamen Lehmann-Raschdorf trägt, Musik, Malerei, Geschichte und gemeinsame Spaziergänge mit dem fünfjährigen Rottweiler-Rüden „Ares“ mag.

Beim Schwatzen in einer Kneipe sind sich beide nähergekommen, nachdem sie sich durch Zufall wieder über den Weg gelaufen seien, blickt Christian zurück. Vorher sei daran nicht zu denken gewesen - wenn der eine als Rekrut vom anderen, der Zugführer ist, ausgebildet wird. Fast auf den Tag genau habe es vor zwei Jahren im Oktober gefunkt, sagt Christian, der in Salzwedel geboren wurde und durch die Arbeit seines Vaters in Weißenfels landete.

Brautstrauß gefangen

Als Christians Mutter Cornelia nach ihrer Scheidung ein zweites Mal heiratete, hat sie den Brautstrauß mit weißen Rosen im Vorjahr geworfen - Ronny fing ihn auf. „Meine Mutter hat uns auf den Gedanken gebracht, zum Standesamt zu gehen und ernst zu machen“, sagt Christian Lehmann-Raschdorf. „Im Mai 2012 hat mir Ronny einen Heiratsantrag gemacht und zuvor einen Verlobungsring aus Alufolie gebastelt“, plaudert der Mann mit dem Doppelnamen.

Seit ihrer Pubertät, sie waren etwa 13, 14 Jahre alt, wissen die Wahl-Weißenfelser, dass sie anders sind als andere Männer. Sie haben ihre Homosexualität in der Schule, in der Familie und im Freundeskreis jahrelang verheimlicht, verschwiegen, überspielt, versteckt. Ronny hat sich mit 18 zu Weihnachten offenbart: „Als ich meiner Mutter erklärte, dass ich schwul bin, hat sie nur upps gesagt und gemeint, ich sei trotzdem ihr Kind. Oma und Opa haben ähnlich reagiert, nach dem langen Schweigen war das Eis gebrochen. Nur mein jüngerer Bruder hat das nicht so locker gesehen...“

Christian hat vor zwei Jahren mit der Geheimniskrämerei Schluss gemacht und in einer Schnapslaune Männern seiner Dartsportmannschaft erklärt: „Ich bin homosexuell“, nachdem das Thema Schwule im Gespräch aufgekommen sei. „Na und, dann ist es eben so“, hätten sie reagiert. „Ob Kollegen, Nachbarn, Verwandte und Freunde - alle wissen Bescheid und gehen respektvoll mit uns um“, sagt Ronny Lehmann. „Wir fühlen uns, als ob wir uns schon ewig kennen würden“, fügt er glücklich hinzu. Deshalb wollen beide auch Nachwuchs, ein Kind adoptieren und gemeinsam großziehen. „Was Frau Merkel darüber denkt und öffentlich äußert, ist für uns nicht nachvollziehbar“, sagt Ronny.