Gratis Comic Tag Gratis Comic Tag: So wurde ein Weißenfelser zum Kultautor in der Comicszene

Weißenfels - Der große, schlanke Mann erscheint wie aus dem Nichts. Ein dunkler Mantel, ein kleiner, schwarzer Koffer, eine scharfgeschnittene Nase und nachtdunkles Haar, das ist Capricorn, der Held von Andreas Martens’ gleichnamiger Comicserie, deren erster Band vor 20 Jahren erschien. Capricorn streift durch eine Welt aus 30er-Jahre-Flair und Science-Fiction, er jagt grausame Gegner und bleibt gefühlskalt auch seinen Mitstreitern gegenüber.
Marco Turini (Marvel) und Fabio Celoni (Disney) signieren ihre Bücher am 12. Mai von 10 Uhr bis 18.30 Uhr im Comic-Kombinat in Magdeburg, Otto-von-Guericke-Straße 7.
Als sich Martens diese Figur ausdenkt, lebt der gebürtige Weißenfelser schon in Frankreich, einem Land, in dem Comics traditionell einen höheren Stellenwert haben als in Deutschland. Der Mann aus Sachsen-Anhalt ist dort ein Star geworden, dessen oft düstere, beklemmende Geschichten um Capricorn, den weißhaarigen Zauberer Rork oder den Detektiv Raffington Event Kultstatus genießen.
Daheim im Burgenland hingegen, das Martens mit seinen Eltern noch vor dem Mauerbau verließ, ist der Zauberer mit dem Zeichenstift bis heute weitgehend unbekannt - ein Umstand, den der diesjährige Gratis Comic Tag (GCT) ändern soll.
Free Comic Book Day ist Vorbild
Nach dem erfolgreichen Vorbild des Free Comic Book Day in den USA finden sich beim seit 2010 veranstalteten deutschen Pendant Comic-Händler, Buchhandlungen und Spezialverlage zusammen, um mit Lesungen, Signierstunden und kostenlosen Leseproben für die von Älteren gelegentlich immer noch als „Kinderbücher“ belächelte Comic-Kunst zu trommeln.
Wo gibt es die Superhelden wie Capricorn oder Captain America?
Eigens für den GCT haben die Verlage eine Auswahl an herausragenden Heften als Gratis-Edition neu aufgelegt. Vertreten in der 34 Titel umfassenden Kollektion sind neben Andreas Martens „Capricorn“ Superhelden wie Batman, Captain America und Thor, Graphic Novels wie „Lupus in Fabula“, Mangas wie „Dimension W“ und klassischer Spaß-Stoff wie „Garfield“, „Lucky Luke“ und „Dickie“.
Läden wie die hallesche Thalia-Buchhandlung, das Magdeburger Comic-Kombinat oder Salvatore Wagners Spezialgeschäft „Salvis Comic Shop“ am Rannischen Platz in Halle präsentieren so die ganze Vielfalt einer Kunstform, die von den prallen, bunten Bildern aus Levin Kurios „Zombie Terror“-Heften über die pastellfarbenen Schlachtgemälde von Steve Skroces „We stand on guard“-Reihe bis zu den quadratköpfigen und spitznasigen Seeräubern von Christophe Blains „Isaak der Pirat“ reicht.
Andreas Martens: Aus Weißenfels nach Düsseldorf nach Brüssel
Eine Welt für sich, in die Sachsen-Anhalts bekanntester Zeichner Andreas Martens - in der Szene nur als „Andreas“ unterwegs - vermutlich nie eingetaucht wäre, hätten seine Eltern nicht den Entschluss gefasst, die DDR zu verlassen. „Wir sind in Düsseldorf gelandet“, sagt der heutige 65-Jährige, der mit 16 Jahren mit Zeichnen anfing. „Ich wollte sofort Geschichten erzählen“, erinnert er sich, „denn ich war von Kindheit an von Comics fasziniert“.
Der erste Anlauf, sich am Brüsseler Institut Saint Luc zum Studium einzuschreiben, scheitert noch, Martens besucht ein Jahr lang die Düsseldorfer Kunstakademie. 1973 gelingt dann der zweite Versuch.
Der Junge aus der DDR, in der Comics als „Schund- und Schmutzliteratur“ gelten, die der imperialistische Klassenfeind aus den USA als Waffe zur ideologischen Diversion nutzt, kann nun bei Größen wie Tim & Struppi-Erfinder Hergé und Luc-Orient-Zeichner Eddy Paape lernen. Letzterem darf der Ostdeutsche seinerzeit sogar bei der Herstellung der berühmten „Udolfo“-Comics zur Hand gehen.
Vier Jahrzehnte später ist Andreas dank seiner oft über zehn oder gar 20 Jahre fortgesetzten Serien selbst eine stilprägende Größe. Eine allerdings, die sich nicht am Markt orientiert. „In erster Linie bin ich mir selbst Rechenschaft schuldig, in zweiter dem Leser“, beschreibt Andreas seine Motivation, „ich will ihm nicht das geben, was er gern hätte, sondern das, was ich ihm schulde“.
Der Zeichner, der hier auch Geschichtenerfinder und Texter ist, breitet Rätsel vor seinem Publikum aus, er dreht und wendet seine Figuren, wirft sie in Abenteuer und schickt ihnen Rettung. „Als Kind in Ostdeutschland hatte ich kein Lego, aber ich hatte einen Baukasten mit echten kleinen Ziegelsteinen“, erklärt er seine Vorliebe für Straßenbilder mit klaren Linien, die er dann gern aus einer angekippten Perspektive zeigt.
Das Bauhaus-Erbe der alten Heimat schwingt hier mit: Andreas ist bis heute ein großer Bewunderer von Frank Lloyd Wright, dem US-Architekten, dem es um ein möglichst organisches Zusammenwirken von Architektur Kunst, Natur und Landschaft ging. „Er spricht mir direkt aus meiner deutschen Seele“, gesteht Martens. Der Ex-Weißenfelser ist bis heute „auf dem Papier ein Deutscher, der in Frankreich lebt“, wie er sagt. „Aber ich fühle mich in Europa zu Hause, und im Grunde ist unwichtig, woher man kommt, solange man am richtigen Ort landet.“
Kurze Geschichte wird lang
Seiner war Frankreich, denn nur durch die Einflüsse der belgischen und französischen Comicschule wurde Andreas Martens zu Andreas, dem Comiczeichner. Auch „Rork“, die Serie, die ihn in Frankreich zum Kultautor machte, entstand ursprünglich gar nicht zielgerichtet. „Erst war es eine ganz kurze Geschichte, dann wurde sie länger, weil die Leute sie liebten“, sagt Martens. Um sich schließlich zu einer Serie von neun Heften mit Tausenden von detailreichen Bildern auszuwachsen. Die sind als zweibändige Gesamtausgabe gerade wieder auf Deutsch erschienen - ebenso Martens’ „Capricorn“ und seine „Cromwell Stories“. (mz)