Erinnerung an den Brand bei Intex Erinnerung an den Brand bei Intex: Günter Kuhl stand mit einem Bein im Knast

Weißenfels - Der Direktor des Schuhkombinats Weißenfels, Günter Kuhl, war schnell vor Ort, als in der Silvesternacht 1981 Intex brannte. Weil er verdächtigt wurde, den Brand gelegt zu haben, wurde Kuhl aufs Volkspolizeikreisamt mitgenommen und vier Stunden lang befragt.
Wenn irgendwo in Weißenfels die Sirene zu hören war, dann war Günter Kuhl elektrisiert. „Mein erster Griff war dann zum Telefon, um bei den Behörden nachzufragen“, erinnert sich der 79-Jährige. Doch nicht Sensationslüsternheit war in den 1980er Jahren der Grund dafür.
Kuhl war Direktor für Materialwirtschaft im Banner-Schuhkombinat beziehungsweise in der Vereinigung Volkseigener Betriebe, einem Vorläufer der Kombinate. Kuhl war Herr über verschiedene Materiallager. „Ich war dafür verantwortlich und ich wusste, dass bei Bränden in der Industrie die Staatssicherheit sofort nach den Verantwortlichen fragt“, erzählt er heute.
Doch damals in der Nacht vom 31. Dezember 1981 zum 1. Januar 1982, in der Silvesternacht, die er mit seiner Frau Irmtraut auf dem Klemmberg bei Freunden verbrachte, war es nicht die Sirene, die ihn aufhorchen ließ. „Unsere Kaderleiterin, die wusste, wo ich war, rief an und sagte mir, dass Intex brennt“, erinnert sich Kuhl. Kaderleiterin, das war das, was man heute Personalchefin nennen würde. Und Intex war umgangssprachlich das Versorgungskontor Industrietextilien in der Weißenfelser Weinbergstraße.
„Das war zwar nicht mein Verantwortungsbereich, gehörte nicht zu unserem Kombinat. Aber von Intex wurden wir mit Material beliefert, Futterstoffe beispielsweise für die Schuhindustrie“, sagt Kuhl. Und er wusste, dass der Chef von Intex in dieser Nacht gar nicht in der Stadt war. „Er konnte sich also nicht um seinen Laden kümmern.“ Also fuhr Kuhl zum Brandort.
Schlimmsten Befürchtungen bestätigt
Als er eintraf, waren die Löscharbeiten noch im Gang, aber „ich bekam einen Feuerwehrhelm und konnte mich im Gebäude umsehen, wo es nicht mehr brannte.“ Seine schlimmsten Befürchtungen bestätigten sich. Jede Menge Material für die Weißenfelser Schuhindustrie war den Flammen zum Opfer gefallen. „Mir war klar, dass wir zusammen mit dem Intexchef eine ganze Menge organisieren mussten, damit es zu keinem Stillstand in der Schuhproduktion kam“, erzählt der ehemalige Direktor. Intexchef Walfred Kahl sei ein guter Mann gewesen und er habe darauf vertraut, dass man Lösungen finden würde.
Aber erst einmal kam etwas ganz anderes. „Als ich aus dem Gebäude herauskam, waren dort Polizei und Leute von der Staatssicherheit eingetroffen.“ Kuhl wurde mitgenommen aufs Volkspolizeikreisamt, das sich damals im Gebäude des einstigen St.-Claren-Klosters befand. Vier Stunden lang wurde er in der Nacht befragt. „Die müssen mich wohl verdächtigt haben, den Brand gelegt zu haben.“ Später hat sich herausgestellt, dass eine verirrte Silvesterrakete ein Fenster durchschlagen und das Feuer ausgelöst hatte.
Aber in solchen Fällen standen Leute mit großer Verantwortung in der DDR-Industrie schnell unter Beschuss. Der Ruch nach Sabotage lag schnell in der Luft. Das galt auch für Fälle, in denen Kombinatschefs im Bestreben, die Produktion am Laufen zu halten, auch ungewöhnliche Wege gingen. Kuhl erinnert sich an einen Erfurter Kollegen, der Material im Westen gekauft hatte. Angeblich wäre die DDR-Industrie in der Lage gewesen, Vergleichbares zu liefern. Wegen der Devisenausgabe landete der Mann damals im Knast.
„Und wenn es in einem Betrieb einen Schaden gab, wurden immer zuerst die Leiter verantwortlich gemacht“, sagt Kuhl. Die Schuhindustrie hatte damals ein Lager nahe der Tagewerbener Straße. Das sei eigentlich gar nicht so richtig sicher gewesen. „Wir hatten da manchmal Material im Wert von 60 Millionen Valutamark eingelagert. Das war im Zusammenhang mit der Gestattungsproduktion für Salamander. Ich hatte immer wieder Panik, dass es dort mal brennen würde.“ Aber ein Neunbau, der besseren Brandschutz bot, war aus finanziellen Gründen nicht möglich. „Ich weiß, wenn dort etwas passiert wäre, hätten sie mich eingesperrt. Mit einem Bein stand ich immer im Knast.“ Heute kann Kuhl ein wenig darüber lachen.
Unter den Betriebsdirektoren kursierte damals ein galgenhumoriger Spruch: Wer nichts riskiert, kommt nicht nach Waldheim. Waldheim im damaligen Bezirk Leipzig hatte eine der bekanntesten Strafvollzugsanstalten der DDR. „Die ständige Angst, hat Menschen kaputt gemacht“, sagt Kuhls Frau. „Es gab immer etwas, Tag und Nacht“, erinnert sie sich, die selbst als Schuhingenieurin gearbeitet hat.
„Oft war mein Mann abends gerade nach Hause gekommen, das Essen stand schon auf dem Tisch, da klingelte schon wieder das Telefon“, erinnert sich Irmtraut Kuhl, „und er musste schon wieder weg, weil es irgendein Problem gab.“
Die Geschichte mit dem Feuer bei Intex aus der Silvesternacht, hat sich bei Günter Kuhl fest ins Gedächtnis eingebrannt. Eben weil die Gefahr bestand, dass es zu Produktionsausfällen kommen konnte. Und das erregte immer den Argwohn von Partei und Regierung. „Aber wir haben das damals gemeinsam hinbekommen, damit neues Material organisiert wurde. Walfred Kahl hat alle seine Verbindungen spielen lassen“, berichtet Kuhl. Die Produktion in der Schuhfabrik lief weiter. (mz)