Ausbildung hinter Gittern Ausbildung hinter Gittern: Jobs für Ex-Knackis aus Raßnitz

Rassnitz/WeissenfelsMZ - „Ich habe keine Berührungsängste gegenüber Ex-Häftlingen“, sagt Dietmar Blaesing, Betriebsleiter beim Fensterbauer Schüco in Zorbau. Er hält es für möglich, einem ehemaligen Gefangenen einen Job zu geben und bemerkt: „Erkennbar sollte schon sein, dass derjenige wirklich arbeiten will.“ Unternehmer Holger Scheibe, der in Weißenfels eine Innenausbaufirma leitet, macht aus seinem Herzen keine Mördergrube: „Ich bin nicht frei von Bedenken. Man hat auch schon viel Negatives über dieses Klientel gehört.“ Doch wohin mit ehemaligen Strafgefangenen?
Zu viele werden abgelehnt
In der Justizvollzugsanstalt (JVA) von Raßnitz sitzen gegenwärtig 281 junge Männer, davon 218 Jugendstraftäter, die eine Haft zwischen zwei und vier Jahren absitzen. „In den ersten acht Monaten nach der Entlassung entscheidet sich, ob sie einen ordentlichen Weg gehen oder wieder zu uns kommen. Eine Wohnung und Arbeit sind also überlebenswichtig“, meint Jörg Ressin, stellvertretender Anstaltsleiter. Noch seien es zu viele, die von der Wirtschaft abgelehnt werden. Darum appelliert er an die Unternehmer: „Sie brauchen nicht nur hochausgebildete Fachkräfte. Sie brauchen auch Arbeitskräfte!“ Ressin dazu: „Hier werden sie top ausgebildet.“ Rund 35 Firmenchefs, vereint am IHK-Wirtschaftsstammtisch, zogen deshalb hinter Gitter, um sich selbst ein Bild vom Leben, Lehren und Lernen im Gefängnis zu machen.
Tolle Werkstätten, eine Sporthalle, eine Kirche, sogar ein Friseur und ein Laden, Freizeitbereiche und ein medizinisches Zentrum bringen die Unternehmer zum Staunen. Doch der vermeintliche Komfort ist die eine Seite der Medaille. Die andere: Von den Insassen hat die Mehrheit weder einen Berufs- noch einen Schulabschluss. Ein gutes Dutzend sind gar Analphabeten. Dennoch: Elf Gefangene haben 2012 ihren Realschulabschluss erworben, 23 junge Männer einen Hauptschulabschluss. 16 Gefangene beendeten die Berufsschule, 22 das Berufsvorbereitungsjahr. Drei Männer haben ihre Ausbildung zum Bauten- und Objektbeschichter und sieben zum Hochbaufacharbeiter erfolgreich abgeschlossen und jetzt den Gesellenbrief in der Tasche.
„Wir müssen die Gefangenen beschäftigen, sonst beschäftigen sie uns“, sagt Ressin trocken. Dahinter steckt knochenharte Arbeit der 201 Bediensteten. „In der JVA können die Häftlinge ihren Facharbeiter zum Teilezurichter, Hochbaufacharbeiter, Bautenobjektbeschichter, aber auch zum Tischler und zum Gärtner machen. Für eine Berufsausbildung kämen vor allem diejenigen Gefangenen in Frage, die länger als zwei Jahre einsitzen würden. Den Antrag auf eine Lehre stellt der Gefangene selbst. Ressin sagt: „Die Mehrheit unserer Häftlinge will etwas machen. Auch, wenn sie schnell begreifen müssen, dass die Ausbildung mehr ist, als nur aus der Zelle zu treten.“
Auch Teilqualifizierung möglich
Der Schul- und Ausbildungsalltag beginnt 7.30 Uhr auf dem Anstaltsgelände. Während nicht wenige der Insassen die Schulbank drücken, um einen Schulabschluss zu machen, ist ein großer Teil in den großzügig angelegten Werkstätten zu finden. Etwa 80 Prozent, so wird bilanziert , schaffe die Ausbildung.
Bietet sich für Inhaftierte keine Facharbeiterausbildung an oder sie haben ihn bereits in der Tasche und noch entsprechende Haftzeit vor sich, dann haben sie die Möglichkeit, Teilqualifizierungen in Modulform zu absolvieren. Unter anderem zehn verschiedene in der Baubranche und vier im Metallbereich bietet das Europäische Bildungswerk für Beruf und Gesellschaft hinter Gittern an. Fast alle der rund 80 Plätze seien dauerhaft belegt. Bedarfsgerechte Ausbildung nahe an der Praxis angesiedelt - dies ist der JVA wichtig. Auch und besonders, weil man hier sehr genau weiß, dass der Bildungsstand der Inhaftierten stetig nach unten geht und die Anforderungen für die Lehrkräfte und ehrenamtlichen Dozenten steigt. „Wir wollen Unternehmer und Zeitarbeitsfirmen der Region auf uns aufmerksam machen und anregen, sich bei uns in den Ausbildungsstätten umzusehen. Unser Anliegen ist es, die Ausbildung unter Haftbedingungen transparent zu machen“, schildert Ressin.
Einige der Unternehmer des Stammtisches tauschen sich mit der JVA-Leitung nach der Lehrstunde im Gefängnis Visitenkarten aus. Hans Schubert, Unternehmer aus Lützen, dazu: „Ich habe vieles, was hier offen gelegt wurde, nicht gewusst. Ich halte es für vernünftig, gestrauchelten Jugendlichen in der Wirtschaft eine zweite Chance zu geben.“

