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Zwei Minuten zur Notfallbewertung Zwei Minuten zur Notfallbewertung: So läuft in Sangerhausen der Kampf gegen die Zeit

Von Sophie Elstner 07.04.2017, 16:00
Stationsschwester Michaela Manhardt und Oberarzt Dr. Sander Jacob helfen einer Patientin.
Stationsschwester Michaela Manhardt und Oberarzt Dr. Sander Jacob helfen einer Patientin. Lukaschek

Sangerhausen - Das schnurlose Telefon in der Tasche von Schwester Michaela Manhardt klingelt. Sie meldet sich. „Alles klar, wir wissen Bescheid“, sagt sie, legt auf und wählt eine Nummer. „Der Rettungsdienst kommt mit einem Apoplex ohne Zeitfenster.“ Sie legt wieder auf. Ein Neurologe weiß Bescheid. In wenigen Minuten wird eine ältere Dame gebracht, die einen Schlaganfall erlitten hat. Sie lebt allein, ist eigentlich selbstständig. Was genau passiert ist, weiß niemand. Sie ist nur eine von etwa zwei Dutzend Patienten, die an diesem Vormittag in der Sangerhäuser Notfallaufnahme behandelt werden.

Ärzte müssen innerhalb von zwei Minuten entscheiden, ob Notfallbehandlung gerechtferigt ist

Seit Anfang des Monats gilt auch in Sangerhausen die bundesweite Regelung, wonach die Ärzte innerhalb von zwei Minuten entscheiden müssen, ob eine Notfallbehandlung gerechtfertigt ist oder nicht. Doch von einer veränderten Arbeitsweise ist nichts zu spüren. „Egal, was es kostet und wie lange es dauert - für uns steht die adäquate Behandlung des Patienten im Vordergrund“, sagt Sprecherin Anett Brommund-Schnabel. „Daran hat sich nichts geändert.“

Kurze Zeit später stellt sich ein Mann vor, der schon seit dem Vorabend schlecht Luft bekommt. Schritt für Schritt schleppt er sich am Empfang vorbei, kann sich nur mit viel Mühe auf das Krankenbett legen, das eine der Schwestern im Gang bereitgestellt hat. Sofort wird er vom diensthabenden Internisten behandelt. Er ist ein dringender Patient, da braucht es keine Zwei-Minuten-Regel.

Für schwere Verletzungen gibt es in der Notaufnahme den so genannten Schockraum. Ein ganzes Arsenal an speziellen Geräten und Medikamenten steht den Ärzten zur Verfügung. Hier werden Menschen behandelt, die nach einem Unfall oder nach einem Sturz verschiedene, meist lebensbedrohliche Verletzungen erlitten haben. Hier ein Beatmungsgerät, da der Defibrillator, dort eine Schaufeltrage, Röntgenschürzen, ein tragbares Röntgengerät; und in einem Schrank befindet sich alles, was für die Wundversorgung benötigt wird. Ob internistisch, neurologisch, chirurgisch oder selbst gynäkologisch – in der Notaufnahme ist man auf alle Fälle vorbereitet.

Wer in die Notaufnahme kommt, wird angesehen, egal ob echter Notfall oder nicht

Eine Stunde später kommt Oberarzt Sander Jacob aus Behandlungszimmer 3. „Wir haben gerade ein Leben gerettet“, erzählt er stolz. Es geht um den Mann mit den Atemproblemen. „Fast wäre es zu spät gewesen, dann hätten wir nicht mehr helfen können. Aber wir haben ihm spezielle Medikamente und Sauerstoff gegeben und jetzt wird er auf die Überwachungsstation verlegt.“ Alle, die hier ankommen, werden vom Pflegepersonal vorsortiert. Wer kommt zuerst an die Reihe? Wessen Verletzung ist nicht so schlimm? Wer kann eine Weile warten? Das war schon immer so - „und wird sich nun auch nicht ändern“, so Brommund-Schnabel.

Jacob weiß, dass dies nicht immer auf Verständnis stößt. „Selten passiert es auch, dass Patienten uns beleidigen, wenn sie nicht sofort an der Reihe sind. Das sind aber Einzelfälle.“ Wer in die Notaufnahme kommt, wird auch angesehen, egal ob echter Notfall oder nicht. Das verlängert allerdings die Wartezeiten. Vor allem am Nachmittag kann die Schlange vor der Anmeldung in der Notaufnahme schon mal sehr lang werden – wer nun von der Arbeit kommt und einen Arzt braucht, hat häufig Pech - Hausärzte halten sich an ihre Sprechzeiten. Und aus Erfahrung weiß Jacob: „Der richtige Infarkt kommt gelaufen.“ Es passiert also durchaus wie im Fall des Mannes mit der Luftnot, dass die schwerkranken Patienten sich selbst in die Notaufnahme schleppen, während leichtere Fälle sich vorsichtshalber doch dazu entschließen, den Rettungsdienst zu alarmieren.

Bronchitis einer 102-Jährigen oder Brüche: jeder Patient wird untersucht

Den Ärzten und Schwestern bleibt nicht viel Zeit zum Durchatmen. Mit dem Rettungswagen kommt eine Dame in die Notaufnahme. 102 Jahre ist sie alt. „Das hatten wir lange nicht“, sagt Oberarzt Jacob. Sein Kollege pflichtet ihm bei. „Die Frau hat zwei Weltkriege überlebt, das hier schafft sie jetzt auch“, ist er sich sicher. Ein schlimmer Husten quält die Seniorin. Die Diagnose: Bronchitis. Was bei einem jungen Menschen mit Tee und viel Ruhe nach einigen Tagen wieder verschwunden ist, kann mit über 100 Jahren lebensgefährlich werden.

Unterdessen wird die Schlange vor der Anmeldung immer länger. Geschäftige Stille herrscht hinter dem Tresen. Patienten müssen angenommen werden, jetzt bloß keine Dokumente vertauschen. Haben Sie auch die Chipkarte dabei? Und wer ist Ihr Hausarzt? Alles wird ganz genau dokumentiert. So wie im Fall eines einjährigen Jungen, der sich beim Spielen im Kindergarten den Finger gequetscht hat. Auf dem Arm seiner Mama beobachtet der kleine Mann genau, was um ihn herum passiert.

Notaufnahme in Sangerhäuser Klinik füllt sich unentwegt

Es dauert nicht lange, da meldet Oberarzt Uwe Steinmetz, dass Mutter und Sohn in den Röntgenraum gehen können. Ein Check, damit dem kleinen Finger auch wirklich nichts passiert ist. Bald darauf gibt der Arzt Entwarnung. Dem Jungen samt Finger geht es gut, mit seiner Mama kann er die Notaufnahme wieder verlassen. Anders die Seniorin mit der Bronchitis. Sie muss wahrscheinlich einige Tage im Krankenhaus bleiben. „Wir nehmen sie stationär auf“, sagt Schwester Michaela. Auch das gehört zur Arbeit in der Notaufnahme.

Die Tür, die die Notaufnahme von der Einfahrt für den Rettungsdienst trennt, öffnet sich erneut. Ein älterer Herr wird vom Rettungsdienst gebracht. Er wurde erst am Morgen aus dem Krankenhaus entlassen, ist nun zu Hause gestürzt. Seinen Oberschenkelhalsbruch sieht sich der Chirurg allerdings nicht sofort an, denn es wird eng im Flur. Sanitäter rollen einen weiteren Mann auf einer Trage hinein. Mit einer Motorkettensäge hat er sich am Oberschenkel verletzt. Der Rentner mit dem Bruch muss sich gedulden.

Es ist der ganz normale Alltag im Krankenhaus, in dem es die Ärzte nicht interessiert, ob sie nach einer neuen Regelung nur zwei Minuten Zeit für die erste Diagnose in der Notaufnahme haben. Sie machen einfach ihre Arbeit - 24 Stunden am Tag. (mz)

Schwester Ina Ricke behandelt einen Knochenbruch.
Schwester Ina Ricke behandelt einen Knochenbruch.
Lukaschek
Alexander Blume und Mario Stockhaus (v.l.) aus einem der Rettungswagen betreuen eine Patientin.
Alexander Blume und Mario Stockhaus (v.l.) aus einem der Rettungswagen betreuen eine Patientin.
Lukaschek