Wohnhausbrand Wohnhausbrand: Menschen in Sangerhausen trauern
SANGERHAUSEN/MZ. - Brandgeruch liegt in der Luft. Sophie hat eine kleine Plüschente mitgebracht. Und einen Zettel hat sie geschrieben, gemeinsam mit Julia, die gerade zur Schule gekommen ist: "Warum. Wir werden dich vermissen", steht darauf geschrieben. Die Frage nach dem Warum wird die kleine Blondgelockte noch länger beschäftigen. Die ganze Tragweite des Dramas kann die Neunjährige noch gar nicht fassen. Sie sucht Schutz in den Armen ihrer Mutter. Am Samstagabend findet sie vor dem Brandhaus in der Kylischen Straße nicht nur Zuspruch von ihr. Auch Sophies Klassenlehrerin ist gekommen, nimmt sie wortlos in den Arm. Sie wird an diesem Abend, so erfuhr die MZ, noch einige ihrer Drittklässler besuchen. Versuchen zu erklären.
In der Nacht zum Samstag schreckt Sirenengeheul die Menschen in Sangerhausen auf. Es ist 40 Minuten vor Mitternacht. In einem Mehrfamilienhaus brennt es lichterloh. Die Flammen schießen aus dem zweiten Obergeschoss, auch auf das Dach haben sie bereits übergegriffen. Die Feuerwehr ist umgehend zur Stelle. Hilfeschreie dringen nach unten. Eine serbische Familie aus dem ersten Stock kann schnell in Sicherheit gebracht werden. Die Bewohner des zweiten Geschosses, eine albanische Familie, haben sich über das Dach auf die Rückseite des Hauses gerettet. Einige von ihnen kommen mit Verdacht auf Rauchgasvergiftung in eine Klinik. Jedoch: "Man hörte immer wieder, dass noch zwei Kinder in der Wohnung sind", erinnert sich Ellen Richter, die in der Straße einen Fotoladen besitzt und herbeigeeilt war. Dramatische Szenen spielen sich in diesen langen Minuten vor dem Mietshaus ab: "Einige Verwandte der Familie liefen aufgelöst herum und mussten zurückgehalten werden", so Richter. Ein Onkel der Kinder wurde wegen Kreislaufproblemen behandelt, teilt später die Polizei mit.
Als die Feuerwehrleute in die Wohnung vordringen können, wird es traurige Gewissheit: Die Vermissten, ein neunjähriger Junge und seine vierjährige Schwester, können nur noch tot geborgen werden. Sie starben an einer Rauchgasvergiftung, ergibt am Tag darauf die Obduktion. Gegen halb drei in der Nacht ist der Brand endgültig gelöscht. Der Einsatz war laut Polizei durch zahlreiche Schaulustige, die den Rettungskräften im Weg standen, behindert worden.
Einen Tag später läuft die Tatortarbeit der Polizei und des Landeskriminalamtes auf Hochtouren. Die Feuerwehrleiter wird noch einmal hochgefahren, damit Beamte die stark verrußte Wohnung im zweiten Stock des abgesperrten Hauses betreten können. Es ist unbewohnbar. Bei der noch andauernden Suche nach der Brandursache wird in alle Richtungen ermittelt.
Der Strom der Schaulustigen bricht auch in den Tagen nach dem Unglück in der Straße nicht ab, die sonst am Wochenende fast menschenleer ist. Viele Einwohner sind hergekommen, um ihrer Trauer um die Brandopfer und ihrem Mitgefühl für die Angehörigen Ausdruck zu verleihen. Viele bleiben vor dem Haus stehen. Immer wieder. Kerzen leuchten. Sophies Brief ist längst nicht mehr die einzige Botschaft der Trauer.
Auch jene, die das Unglück miterlebt haben, können noch nicht fassen, was passiert ist: "Die Erinnerung daran läuft bei mir ab wie ein Film", sagt Walter Scheidt, der in derselben Straße wohnt. "Man ist hautnah dabei und kann einfach nichts machen." Die Hilfeschreie seien ihm "durch Mark und Glieder gegangen".
Die Fußballer des VfB Sangerhausen gehen am Tag nach dem Unglück nicht so einfach zur Tagesordnung über. Vor ihrem Heimspiel gedenken sie gemeinsam mit den Zuschauern und dem zweiten Team auf dem Platz der Opfer.
Oberbürgermeister (OB) Dieter Kupfernagel war am Samstagvormittag an der Unglücksstelle. "Es ist sehr traurig, was hier passiert ist, mein Mitgefühl gilt den Brandopfern, vor allem aber der Familie, die zwei Kinder verloren hat." In Abstimmung mit dem Landkreis seien die beiden Familien, die in dem Haus in der Kylischen Straße 43 gelebt haben, in Ausweichquartieren untergebracht. Längst hatte der OB auch Kontakt zu den Feuerwehrleuten. "Sie hatten in der Unglücksnacht schwere Arbeit zu leisten. So wie die Flammen gelodert haben, grenzt es an ein Wunder, dass in der dicht besiedelten Innenstadt nicht noch mehr Häuser in Flammen aufgegangen sind. Ich möchte mich ausdrücklich bei den Feuerwehrleuten bedanken."
Die freiwilligen Einsatzkräfte der Sangerhäuser Wehr versuchen auf ihre Weise das Erlebte zu bewältigen. Auf ihrer Internetseite schreiben sie: "An dieser Stelle möchten wir uns bei allen Kameraden der Feuerwehren Riestedt, Wallhausen und Oberröblingen für die gute Zusammenarbeit bedanken. Unsere Gedanken und Trauer sind bei den Angehörigen der verstorbenen Kinder."
Die neunjährige Sophie ist mit ihrer Mutti am Samstagabend dann wieder nach Hause gegangen. Ihr vierjähriger Bruder, den sie mit zur Unglücksstelle nahm, drängelte irgendwann. "Er versteht das alles noch überhaupt nicht", hatte seine Mutti die Ungeduld des Kleinen erklärt. Und nachdenklich: "Stellen Sie sich vor, meine beiden Kinder sind auch neun und vier Jahre alt. . . ".