Vorsicht! Behördendeutsch Was ist eigentlich eine körperliche Bestandsaufnahme der Vermögensgegenstände?
Post vom Amt ist häufig kompliziert. Warum eigentlich? Anlässlich der närrischen Tage hat sich die MZ teilweise mit Augenzwinkern dazu umgehört.

Sangerhausen/Eisleben/Hettstedt/MZ - Haben Sie schon einmal etwas von Auszahlungsveranschlagung oder der „Erteilung einer Befreiung gem. § 31 BauGB von den bauplanungsrechtlichen Festsetzungen des Bebauungsplanes (...) zur Überschreitung der Baugrenze für die Baumaßnahme“ gehört? Während Mitarbeiter einer Verwaltung zögerlich ihre Arme heben, erscheinen in den Augen der meisten Bürger Fragzeichen, gepaart mit einer semiinteressierten Nachfrage: „Wie bitte?“
Schwer verständliche Behördensprache
Erst am Morgen habe ihr Mann den Duden bemüht, um Fachbegriffe nachzuschlagen, sagt zum Beispiel die Sangerhäuserin Renate Große. Andere Passanten auf den Straßen im Landkreis vergleichen Schreiben vom Amt mit „Bedienungsanleitungen, die man mehrfach lesen“ müsse.
Manches müsse man einfach „dreimal lesen, bis man es versteht“, meint auch Klaus-Dieter Albrecht. Behördensprache ist für die einen ein Ärgernis und für die anderen notwendig. Dennoch könnte man da etwas ändern, findet etwa Hettstedts Bürgermeister Dirk Fuhlert. „Ich wage auch zu behaupten, dass nicht alle Beamte verstehen, was da geschrieben wird“, sagt er.
Man müsse dem Volk, frei nach dem stets gern bemühten Martin Luther, „wieder mehr aufs Maul schauen“. Sicherlich müsse die Sprache rechtssicher, verbindlich und eindeutig sein, sagt Fuhlert. „Aber wenn der Bürger es nicht versteht, kann er sie auch nicht umsetzen. Ist das dann noch rechtssicher?“
Vollständig und genau
Laut Bundeszentrale für politische Bildung zeichnet die Behördensprache das Streben nach Vollständigkeit und Genauigkeit aus, was zu umständlichen Formulierungen führt. Auch orientiert sie sich an Gesetzen.
Natürlich ist nicht alles so verklausuliert, wie im Youtube-Video „Rotkäppchen auf Beamtendeutsch“. Aber mancher Brief vom Amt drängt regelrecht zum Nachschlagen im Internet-Wörterbuch „Die wichtigsten Vokabeln fürs Amt“. So erinnert sich Waltraud Fritsche aus Bennungen an die Berechnungsgrundlagen und Begriffe zur Grundsteuererhebung.
„Die musst du dir erläutern lassen“, sagt sie und fügt hinzu: „Man kann es leichter machen.“ Außerdem fallen ihr auch sofort Beschlussvorlagen im Gemeinde- und Ortschaftsrat ein. Dazu fordert sie von den Verwaltungen: „Nehmt normale Wörter“.
Dabei gibt es sogar ein Arbeitshandbuch des Bundesverwaltungsamtes „Bürgernahe Verwaltungssprache“ und darüber hinaus auch einige Initiativen.
Blick auf die Bibel
Pfarrer Folker Blischke aus Roßla sieht die Behördensprache mit Augenzwinkern in einer langen Tradition: „Die Bibel überliefert im 1. Mose 11 die alte Sage vom Turmbau zu Babel. Die Menschheit wollte als Zeichen ihrer Größe einen unermesslich hohen Turm bauen – bis durch das Eingreifen Gottes sich die Sprachen veränderten“, so Blischke.
„Seit dieser ,babylonischen Sprachverwirrung’ gibt es überall unterschiedliche Sprachen.“ Missverständnisse sind die Folge, nicht nur zwischen verschiedenen Sprachräumen, wie sich beim Kontakt mit Amtsschreiben herausstellt.
„Zu den größten Herausforderungen der babylonischen Sprachverwirrung gehört die Behördensprache in ihrem Bemühen, juristisch wasserdicht zu argumentieren. Das gelingt meistens gut, doch keiner versteht mehr, was gemeint ist“, meint Blischke.
„Aber als Pfarrer sollte man sich im Blick auf die Behördensprache nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, denn die Behördensprache hat eine ältere Schwester: die Kirchensprache.“
Bald Kurse an der VHS?
Nun naht eine Lösung im Sprachendickicht: Die MZ-Anfrage nach einem „Dolmetscherkurs für Behördensprech“ findet Janine Wenschuh, Leiterin der Kreisvolkshochschule Mansfeld-Südharz, beim Blick über die Papiere auf ihrem Schreibtisch gar nicht so abwegig.
„Vielleicht findet sich ein Verwaltungsangestellter, der gerade in den Ruhestand gegangen ist, und nun Übersetzungshilfe leisten möchte? Ich kann mir einen Workshop oder eine Vortragsreihe dazu vorstellen. Wer Dozent werden möchte, kann sich gern melden.“
Kommentar von Joel Stubert: Das Botox des Amtes
Beamte sind auch nur Menschen. Und zwar solche mit einem besonderen Hang zum Substantiv. Und in Verbindung mit einem Paragraphen, einem Relativsatz oder am besten beidem, kommt der Verwaltungsbeamte erst so richtig in Fahrt. Dann „ungt“ es gewaltig, solange bis Zuhörer oder Leser entnervt die weiße Fahne hissen. Gewissermaßen sind Relativsatz und Substantivierung das Botox einer jeden Post vom Amt, künstlich reinoperiert und ein bisschen aufgeblasen.
Da ist die Regenrinne eben eine Grundstücksentwässerungsanlage. Und was ist eigentlich eine körperliche Bestandsaufnahme der Vermögensgegenstände bei einer Inventur? Das wissen nur die Eingeweihten. Nun ja, zum Glück gibt es ja mittlerweile Hilfsmittel wie Wörterbücher und Videos im Internet, um der Verquasungstendenzerfassung zu begegnen.
Und da es mit so viel Licht im Dunkel auch nicht weitergehen kann, wird es wohl bald darauf hinauslaufen, dass Amtsschreiben und Beschlussvorlagen auf Latein verschickt werden. Das ist doppelt sinnvoll, denn dann kann gleich eine Person als Lateinisierungsbeauftragter eingestellt werden. Melior tutius paenitet.