Bundeswehr und Ukraine-Krieg Was halten Jugendliche in Sangerhausen von der Wiedereinführung der Wehrpflicht?
Es ist ein Vorschlag, der jeden Jugendlichen betrifft. Politiker erwägen derzeit, angesichts des Kriegs in der Ukraine und der Probleme innerhalb der NATO die Wehrpflicht in Deutschland wieder einzuführen. Wie denken Schulabgänger in Sangerhausen über die Pläne?

Sangerhausen/MZ. - Sie heißen Philipp, Valentino, Loris, Hannes, Paul, Maik, Luke, Jamie und Chantal und gehen alle in Sangerhausen zur Schule. Bald haben sie diese in der zehnten oder zwölften Klasse beendet und das Leben wartet. Endlich. Oder doch die Wehrpflicht? Laut Umfragen spricht sich die Mehrheit der Deutschen für eine Rückkehr dazu aus, allerdings nicht die Gruppe der 18- bis 29-Jährigen. Wie sehen das die Jugendlichen in Sangerhausen?
Die Schüler des Geschwister-Scholl-Gymnasiums und der Thomas-Müntzer-Sekundarschule haben in Sachen Wehrpflicht ebenfalls ihre Bedenken - genau so wie es Jungpolitiker in Sachsen-Anhalt kürzlich geäußert hatten. „Das geht ganz schön schnell“, sagt etwa Abiturient Phillip. „Viele von uns haben schon Pläne für die Zukunft gemacht.“
Wehrpflicht in Deutschland als Eingriff in die Freiheit des Einzelnen
In der Tat haben auch alle anderen Gesprächspartner bereits Ausbildungsplätze sicher oder Studienwünsche im Kopf, käme hier plötzlich ein Jahr bei der Bundeswehr hinzu, fände man das störend oder wie Hannes es formuliert: „Das ist ein Eingriff in meine Freiheit“, sagt der 18-Jährige. „Wer noch Zeit braucht, kann ja freiwillig auch ein FSJ oder ein Praktikum machen“, ergänzt Paul. Einem häufig vorgeschlagenen Dienstjahr nach der Schule, etwa in sozialen Berufen, kann der 17-jährige Loris wiederum schon etwas abgewinnen. „Ich denke, dass man dann einige Dinge anders wahrnehmen würde“, meint er.
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Dass dies dann aber nicht bei der Bundeswehr verpflichtend sein sollte, findet Mitschüler Valentino: „Wenn man eine Bundeswehr aufbauen will, braucht man dabei ja auch Leute, die motiviert sind. Andernfalls wird das eh nichts.“ Auch der 15-jährige Luke sieht die Wehrpflicht kritisch. „Es ist eine individuelle Entscheidung und die soll es auch bleiben“, sagt er. Derzeit sei es so, dass viele Leute ängstlicher würden. Sein Mitschüler Maik ergänzt: „Es muss letztlich jeder selbst entscheiden können, denn die Folgen könnten im Kriegsfall ja auch sein, dass man tot ist.“ Und die 17-jährige Jamie sagt: „Es ist nicht gut, wenn man als Jugendlicher in dieser Frage unter Druck gesetzt wird.“

War vor Jahren die Diskussion über eine Abkehr von der ausgesetzten Wehrpflicht, wenn man sie überhaupt führte, eher vom gesellschaftlichen Beitrag des Einzelnen geprägt, so ist spätestens seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs vor rund drei Jahren eine noch ernsthaftere hinzugekommen. Wer zur Bundeswehr geht, kann nun gefühlt auch bald im Schützengraben liegen. Ein Gefühl, das zurückliegende Jahrgänge so nicht kannten. Nun schwingt mit einer möglichen Wehrpflicht also potenziell auch eine Beteiligung an einem – wie auch immer gearteten – Kriegseinsatz in der Diskussion mit.
Haben Jugendliche in Sangerhausen Angst vor dem Krieg?
Und das macht auch den Jugendlichen Angst. „Es klingt vielleicht etwas blöd, aber Streit oder Krieg ist eher ein natürlicher Zustand des Menschen. Und, dass Deutschland zwischen Russland und den USA in der Mitte liegt, macht einem schon Angst“, sagt Valentino. Auch er habe „große Angst, was auf uns zukommt“, sagt Paul. Und Loris ergänzt: „Es geht immer um Macht. Wenn die Politiker Entscheidungen anhand der eigenen Werte treffen würden und sich nicht von Emotionen und vermeintlichem Wählerwillen leiten lassen würden, dann würden auch andere Entscheidungen getroffen werden.“ Und Zehntklässlerin Jamie habe zwar „keine Angst, aber dafür Respekt“ vor der Weltlage, sagt sie. „Krieg ist was Schlechtes, aber noch betrifft es uns ja nicht.“
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Unabhängig von ihrer eigenen Zukunft sehen die Schüler eine Wehrpflicht teilweise aber schon als sinnvoll an. „Es würde sicherlich auch Vorteile bringen“, sagt Maik. Allerdings sei es derzeit, wo es jederzeit eskalieren könne, „keine gute Entscheidung“. Dass es schon Soldaten brauche, um die Interessen des Landes zu verteidigen, sieht auch Luke so. „Aber man müsste erstmal die nötige Infrastruktur schaffen. Das geht nicht alles von Jetzt auf Gleich“, meint der 15-Jährige.
Sollte für Frauen die Wehrpflicht auch gelten?
Dass Frauen auch in eine mögliche Wehrpflicht eingeschlossen werden, hält die 17-jährige Chantal zwar für logisch. „Aber bei Frauen herrschen doch noch einmal andere Voraussetzungen, etwa wenn sie Kinder haben“, sagt sie. Grundsätzlich, findet Philipp, „würde eine Wehrpflicht zum Sicherheitsgefühl beitragen“. „Aber eine Wehrpflicht ersetzt keine Berufssoldaten.“ Allerdings sieht Valentino, neben dem Aspekt des finanziellen Aufwands einer Aufrüstung samt dem Aufbau einer Infrastruktur noch ein anderes Problem: „Der gesamte Jahrgang, der dann zur Bundeswehr muss, fehlt ja dann auch an anderen Stellen. Das trifft die Gesellschaft und die Wirtschaft ja auch.“
Dass die Diskussion derzeit auch innerhalb der Jugendlichen geführt wird, berichten alle Gesprächspartner. Allerdings auch, dass dies häufig „in der eigenen Blase“ stattfinde. Es gebe auch viele, die die Wehrpflicht befürworteten. Allerdings wollten sich diese nicht äußern.