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Stolberger Süßwarenwerk "Friwi" Stolberger Süßwarenwerk "Friwi": Alles auf Hase

Von Lucas Wölbing 14.02.2015, 11:21
Flüssige Schokolade ist 34 Grad heiß.
Flüssige Schokolade ist 34 Grad heiß. Schumann Lizenz

Stolberg - Auf dem Tisch stehen schon die ersten Hasen bereit. Dunkelbraunes Fell, Bauch und Nase ganz weiß. Schräg gegenüber auf der „Werkbank“ haben noch mehr Artgenossen ihren Platz gefunden, doch sie sehen ganz anders aus. Nicht braun und süß ist ihr Pelz, sondern ganz grau oder wahlweise sogar farblos. Ständig greifen Johanna Schulz und Selina Neubert nach den kleinen Mümmelmännern, schlagen das verzinkte „Fell“ beiseite und hantieren mit ihren Pinseln.

„Einige der Formen sind fast achtzig Jahre alt“, bemerkt Nadja Witte, Chefin des Stolberger Süßwarenwerkes „Friedrich Wilhelm Witte“ (Friwi), mit einem Blick auf ihre beiden Konditorinnen.

Ostern hat, so könnte man meinen, bei Friwi längst begonnen. Doch bei der Frage, ob in ihrem Haus die Uhren etwas schneller ticken, möchte sich die Urenkelin des Firmengründers nicht unbedingt festlegen. Sie denkt kurz nach, lässt ihren Blick über die fertigen Schokohasen wandern und lächelt dann: „Gut, eigentlich haben wir auch schon den Printenteig für Weihnachten eingelegt.“

Als 1891 der Konditormeister Friedrich Wilhelm Witte seinen Laden eröffnete, war er einer von 13  Bäckern in Stolberg. Doch mit seinem Zwiebackrezept hatte er etwas in der Hand, das schnell zum Verkaufsschlager in der Region avancierte. Gemeinsam mit Sohn Georg eröffnete er dann 1926 das Friwi-Werk in der Niedergasse, das mit für damalige Verhältnisse moderner Technik ausgestattet war. Von da an lieferten die Stolberger ihre Naschwaren im gesamten mitteldeutschen Raum aus.

Innerhalb eines Jahres verstarben dann 1938 der Firmengründer und sein Sohn. Danach nahm Georgs Witwe Ella das Ruder in die Hand, leitete den Betrieb und kümmerte sich allein um ihre drei Kinder. Später wurde sie von ihrem Lebensgefährten Eduard Heger unterstützt.

In der DDR wurden die Wittes zwangsweise enteignet. Das Werk wurde zum „Volkseigenen Betrieb“. Zwar blieb der Firmenchef zunächst Betriebsleiter, doch später durfte sich die Familie ihrem einstigen Besitz nicht mehr nähern. Ella Wittes Sohn Ludwig, selbst Konditormeister, gründete ein Fuhrunternehmen und engagierte sich für den Stolberger Tourismus.

Erst nach der Wende konnte die Familie einen Antrag auf Reprivatisierung stellen, doch die Keksproduktion wurde von der Treuhandgesellschaft eingestellt. Zwei weitere Jahre mussten Ludwig Witte und seine Tochter Nadja warten, bis sie die Arbeit wieder aufnehmen konnten. Auch ein Café eröffneten sie.

Heute führt Nadja Witte das Friwi-Werk in vierter Generation. Ihr Unternehmen beliefert zahlreiche Geschäfte in der Harzregion mit Keksen, Pralinen und Schokolade.

Wie es mit ihrem Betrieb in Zukunft weitergehen wird, weiß die Chefin noch nicht. Sie glaubt jedoch fest daran, dass ihre Familie die Tradition fortsetzen wird. 

In der Halle hinter der Backstube laufen fast zeitgleich die Osterplätzchen übers Band. Sie sind noch heiß wenn sie den Ofen verlassen. Mehrere hundert Stück, frisch und duftend. Daneben stehen schon die ersten Kartons und Tüten bereit, Friwi-Mitarbeiterinnen sortieren und verpacken gleich vor Ort. „Manches kommt erst einmal in unser Lager“, erklärt Nadja Witte. „Ein Großteil geht aber sofort an unsere Abnehmer oder über den Online-Versand raus.“

Aber auch im hauseigenen Geschäft füllen sich so langsam die Regale mit Oster-Naschereien. Hasen in allen möglichen Variationen, Pralinen in Ei-Form und sogar ganze Körbe aus Schokolade. Wer sich zufällig in das kleine Geschäft verirrt, der kann gleich den Blick durch die Glasscheibe wagen, die die Backstube vom Laden trennt.

Hier sind Selina Neubert und Johanna Schulz immer noch fleißig bei der Arbeit, und auch ihre Schokohasen haben inzwischen Gestalt angenommen. Zumindest eine weiße Nase haben die Formen schon bekommen. Die Hasen wurden „geschminkt“, wie man bei Friwi sagt. Und das ist auch das Geheimnis, das erklärt, warum so ein Hohlkörper oft aus heller und dunkler Schokolade besteht, ohne dass beide verlaufen: Die weißen Stellen werden auf die Form gepinselt, bevor es dann für den Hasen kurz heiß wird.

Etwa 34 Grad hat die flüssige, braune Masse, die da durch das Temperiergerät fließt. Die ideale Temperatur, zum „Hasenmachen“, meint die Chefin. Gekonnt halten ihre beiden Helferinnen die verzinkten Gussformen unter den schokoladigen Strom, bis sich alles gefüllt hat. „Eigentlich wird es an den Rändern schnell hart“, weiß Nadja Witte aus Erfahrung. „Allerdings müssen wir einen Teil der Schokolade wieder abgießen, damit wir einen Hohlkörper bekommen.“ Danach ist der Hase eigentlich auch schon fast geboren. Nur noch einen letzten Kälteschock muss er über sich ergehen lassen. Eine gute Stunde kommt er nämlich noch ins kühle Kämmerlein, wo er bei 15 Grad Lufttemperatur „abgehärtet“ wird.

Für seine Schöpferinnen geht die Arbeit inzwischen weiter. Wie vielen Hasen sie insgesamt das Leben schenken, können sie nicht genau sagen. Vielleicht sind es ja fast schon eintausend, die jährlich durch ihre Hände wandern.

Ob man dabei keinen Appetit bekommt? Immerhin sind die beiden Frauen tagtäglich von feinstem Naschwerk umgeben, das so manchen Schlemmer zum Probieren verleiten würde. Nicht jedoch die beiden Konditorinnen, wie sie lächelnd zugeben. „Seit ich hier arbeite habe ich von Jahr zu Jahr immer weniger genascht“, meint Johanna Schulz und ihre Chefin fügt hinzu, dass es doch gar nicht schlimm ist, wenn man ab und zu in Maßen probiert: „Das Verkosten bleibt bei uns nicht aus.“ (mz)

Hier legt die Chefin noch einmal Hand an: Nadja Witte und Konditorin Selina Neubert gießen die Schokolade in die Hasen-Form.
Hier legt die Chefin noch einmal Hand an: Nadja Witte und Konditorin Selina Neubert gießen die Schokolade in die Hasen-Form.
Schumann Lizenz
Einige Formen sind 80 Jahre alt.
Einige Formen sind 80 Jahre alt.
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Kollegin Johanna Schulz „schminkt“ den nächsten Osterhasen mit weißer Schokolade.
Kollegin Johanna Schulz „schminkt“ den nächsten Osterhasen mit weißer Schokolade.
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