Sternenkind Sternenkind: Ein Elternschicksal das oft noch ein Tabu ist

Sangerhausen - „Montag war richtig mies“, sagt Danny Bauersfeld. Er atmet hörbar aus und lässt kurz den Kopf sinken. Montag, der 17. Dezember - das war ein ganz besonderes Datum für ihn und seine Frau Marissa.
An diesem Tag sollte ihr kleiner Sohn zur Welt kommen. Bruno sollte er heißen. Bruno Bauersfeld. Ein richtig guter Name. Stark. Bodenständig.
Doch Bruno hat es nicht ins Leben geschafft. Er ist ein Sternenkind.
Passiert ist es am 21. August. Marissa Bauersfeld versagt die Stimme, als sie zu erzählen beginnt. Die Erinnerung und der Schmerz, in diesen Tagen sind sie wieder ganz stark. Sanft nimmt ihr Mann ihre Hand und berichtet, wie sie damals ihren kleinen Jungen verloren haben.
Seine Frau hat ihn auf der Arbeit angerufen, im Metallbaubetrieb in Roßla. Irgendwas stimmt nicht, hat sie gesagt, und er hat sofort alles stehen und liegen lassen und ist zu ihr nach Hause gerast. Blutungen und starke Schmerzen - sie sind sofort in die Helios-Klinik nach Sangerhausen gefahren, in die Notaufnahme.
Komplikationen in der Schwangerschaft - Mutter in Lebensgefahr
Marissa Bauersfeld ist erst in der 23. Schwangerschaftswoche. Viel zu früh für das Kind. Und wie sich herausstellt, ist auch die Mutter in akuter Lebensgefahr: Vorzeitige Plazentaablösung, es ist eine der gefährlichsten Komplikationen, die in der Schwangerschaft auftreten können. Denn es kann passieren, dass die Frau den starken Blutverlust nicht überlebt.
Die 26-Jährige braucht sofort eine Notoperation. Im Wartebereich vor dem OP durchlebt Danny Bauersfeld die wohl schlimmste Zeit seines Lebens. Was soll nun werden?
Die Schwangerschaft war nicht geplant gewesen, aber sie haben sich kurz angeschaut und es war klar: Das wird was Gutes. Die kleine Wohnung in Wickerode haben sie gekündigt und ein Haus in Obersdorf gekauft, mit genug Platz für ein Kind. Hundert Meter zum Spielplatz, zweihundert zum Kindergarten. Wie sie sich gefreut haben, als sie erfuhren: Es wird ein Junge. Ein Angler, wie der Papa. Und jetzt?
Die Gedanken rasen. Dann, endlich, kommt ein Arzt und teilt Danny Bauersfeld mit: Seine Frau wird es schaffen.
Not-OP rettet Mutter - doch das Kind hatte keine Chance
Für Bruno gibt es keine Chance. 340 Gramm wiegt er, ein richtiger kleiner Mensch. Doch seine Lungen sind längst noch nicht weit genug entwickelt. Er war schon tot, bevor die Ärzte ihn ans Licht holten.
Wollen Sie das Kind sehen? Danny Bauersfeld möchte das nicht allein festlegen. Er wartet, bis seine Frau aus der Narkose aufgewacht ist.
Wie man ihnen dann ihren kleinen Jungen bringt, das rührt den beiden noch heute ans Herz. „Das war sehr respektvoll, richtig mit Würde“, sagt Danny Bauersfeld und muss kurz durchatmen. Ihr Kleiner liegt in einem Weidenkörbchen, eingehüllt in ein Mäntelchen und weichen Decken. So, als würde er schlafen.
Man spürt, wie wichtig und schön es für die beiden war, dass sie ihr Kind so sehen und halten konnten. Dass man ihnen in der Klinik eine Mappe mit Fotos und mit den winzigen Fußabdrücken überreicht hat, wie sie alle Eltern nach einer Geburt bekommen. Dass Ärzte und Schwestern aufmerksam und behutsam mit ihnen umgegangen sind.
Im Krankenhaus erzählt man ihnen auch von der Möglichkeit, bei der Familienberatung der Arbeits- und Bildungsinitiative in Sangerhausen Hilfe zu finden.
Die Familienberatung der Arbeits- und Bildungsinitiative in der Lengefelder Straße 15 in Sangerhausen unterbreitet Informations- und Gesprächsangebote für Familien in schwierigen Lebenslagen wie zum Beispiel bei Trennung und Scheidung, bei schwerer Krankheit, Tod eines Familienangehörigen und Krisen in einzelnen Entwicklungsstufen.
Ansprechpartnerin ist Gudrun Werner-Saalfeld, die bei der Abi als Sozialpädagogin, systemische Familientherapeutin, Entspannungspädagogin, Elternberaterin, Erzieherin und zertifizierte Kinderschutzfachkraft tätig ist. Man erreicht sie unter (03464) 515197 oder auch per E-Mail unter [email protected]
„Die beiden waren in ihrer Familie schon sehr gut aufgefangen“, sagt Sozialpädagogin Gudrun Werner-Saalfeld von der Abi. Dieses Glück habe nicht jeder. Umso wichtiger ist ihr, dass Betroffene von der Möglichkeit der Begleitung erfahren.
Umgang mit Sternenkindern - das nüchterne Gesetz
Ein Kind schon vor oder kurz nach der Geburt zu verlieren, dieses Schicksal sei gar nicht mal so selten. „Es gibt viele Eltern, die diese Last tragen“, sagt Werner Saalfeld. Umso eigenartiger, dass es immer noch so ein Tabuthema sei. „Manchmal denke ich, es liegt daran, dass das Kind für die anderen noch gar nicht richtig da war“, meint die Therapeutin. Niemand hat es gesehen, gehört, bestaunt und bewundert.
Der Staat geht sehr nüchtern mit Sternenkindern um, die weniger als 500 Gramm wiegen. Danny Bauersfeld hat es regelrecht erschüttert, als er hörte, dass sie sich entscheiden müssten: Bestattung oder medizinischer Abfall?
Sie haben ihren Sohn auf dem Sternenfeld in Sangerhausen beisetzen lassen. Einem leichten, fast heiteren Ort am Rande des Friedhofs. Mit bunten Windspielen und kleinen Figuren, die in den Zweigen schaukeln.
Nur kurz haben die Bauersfelds abgewägt, ob sie jetzt so öffentlich über ihr Schicksal sprechen und damit auch auf die Möglichkeit der Trauerhilfe aufmerksam machen wollen. Die Anfrage haben sie am Montag bekommen, das war fast schon wie eine Fügung.
Die beiden geben einander Halt. In den Monaten, die seither vergangen sind, konnte stets einer den anderen wieder aufrichten, wenn die dunklen Gedanken kamen. Das Haus in Obersdorf bauen sie jetzt Stück für Stück aus. Und irgendwann werden sie darüber nachdenken, ob sie es wieder versuchen wollen. (mz)