Pflegekraft per Zufall Sangerhausen: Tina Thalmann absolviert mit 37 Jahren noch eine Ausbildung zur Pflegekraft

Sangerhausen - Noch einmal auf die Schulbank setzen? Das wollte Tina Thalmann auf keinen Fall noch einmal. Sie lacht. Denn tatsächlich sitzt sie jetzt schon eine ganze Weile regelmäßig in der Berufsschule und lernt. Neben Beruf und Familie mit Mann und zwei Söhnen. Die 37-Jährige, die es der Lieben wegen aus Thüringen nach Wettelrode gezogen hat, will Pflegefachkraft werden. Hat es auch fast schon geschafft. In wenigen Wochen finden die Abschlussprüfungen statt.
Eigentlich ist sie Fleischereifachverkäuferin, hat in Nürnberg gelernt und ist dann in ihre Thüringer Heimat zurückgekehrt. Hat auch bereits in rollender Schicht Lampen für die Automobilindustrie gefertigt, ehe sie nach Wettelrode zu ihrem Mann zog.
Pflegekraft per Zufall
Auf originelle Weise und eher zufällig sei sie schließlich in der Pflege angekommen. Der Paketbote habe sie nämlich angesprochen, ob sie sich diesen Beruf nicht für sich vorstellen könne. Seine Frau arbeite auch in der Pflege und sie könne doch erstmal im hauswirtschaftlichen Bereich anfangen. Das tat sie dann auch, absolvierte mehrere Praktika in verschiedenen Einrichtungen, bis sie sich schließlich für den Sangerhäuser Pflegedienst „St. Jacobi“ entschied.
„Hier kann ich alles das umsetzen, was ich mir unter menschlicher Betreuung und Pflege vorstelle.“ Und: Der Pflegedienst „St. Jacobi“ ging damals gerade erst an den Start. „Gemeinsam mit einer Kollegin habe ich damals allein die Pflege gewuppt“, sagt Tina Thalmann nicht ohne Stolz. Mittlerweile hat sie viele neue Kollegen dazubekommen. 35 Mitarbeiter hat der Pflegedienst jetzt. „Wir umsorgen alle gemeinsam 150 Klienten in Pflege und Betreuung“, sagt Geschäftsführer Jörg Zikmund, der selbst auch mit draußen im Pflegeeinsatz ist, wenn es erforderlich sein sollte.
Herz und Verstand sind für Tina Thalmann wichtig
Mit Herz und Verstand pflegen, das sei ihr wichtig, sagt Tina Thalmann. „Ich möchte auf die individuellen Bedürfnisse meiner Patienten eingehen können, sie sollen für mich Menschen bleiben und nicht zu Nummern werden.“ Das heißt für sie, nicht einfach nur Punkt für Punkt auf der Liste abzuarbeiten, sondern nachzufragen, was der Mensch gerade in diesem Augenblick braucht.
„Wenn es eine unplanmäßige Dusche am Morgen ist, dann muss dafür die Zeit da sein, ebenso wie für einen Spaziergang am Nachmittag oder ein Pflegebad“, findet sie. Klar, man müsse auf die Uhr sehen, denn da seien ja noch andere Patienten, die auf ihren Pflegedienst warten. 15 bis 20 Personen seien es pro Schicht, die zu betreuen seien, manche einmal am Tag und manche auch mehrfach. 6 Uhr beginne die Schicht und gehe bis zum Nachmittag.
„Wir sind schon so etwas wie eine Familie geworden“
Aber es dürfe eben nicht nur die Uhr regieren. Und das funktioniere bei „St. Jacobi“, weil das Team stimme und jeder mitziehe. „Wir sind schon so etwas wie eine Familie geworden“, findet sie. Gerade jetzt in diesen Tagen und Wochen sei das unschätzbar, dass sich einer auf den anderen verlassen könne, denn durch Corona habe es doch zunächst einige Unsicherheiten gegeben. Mittlerweile sei aber auch der Mundschutz eine Routine, wenngleich bei manchen Tätigkeiten eine sehr beschwerliche - beim Baden und Duschen der Patienten beispielsweise falle das Atmen unter dem Mundschutz manchmal schwer. Dass von Anfang an genügend Material da gewesen sei, habe man ehrenamtlichen Helfern aus Hameln zu verdanken. „Sie haben über Facebook ihre Näharbeiten angeboten und ich habe Kontakt mit ihnen aufgenommen“, sagt sie.
Dass ihr Berufsstand jetzt zu den systemrelevanten Berufen gezählt wird, freut Tina Thalmann auf der einen Seite, auf der anderen Seite findet sie, dass es auch Zeit wird, dass da ein gesellschaftliches Umdenken passiere. So wie ihren Beruf gebe es noch einige wichtige Berufe, die ebenfalls ein Schattendasein fristen, ohne die die Gesellschaft aber auch nicht funktioniere. Sie hofft, dass dieses Bewusstsein, dass Pflegeberufe wichtig sind, auch nach Corona erhalten bleibe. (mz)