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Sangerhausen Sangerhausen: Blut fließt nicht

Von Beate Thomashausen 19.04.2012, 16:37

Sangerhausen/MZ. - Holzwolle quillt aus dem abgerissenen Teddyfuß. "Das ist ein schlimmer Unfall. Ein Hund hat ihn abgerissen", sagt Puppendoktor Günter Geier. Der große, alte Bär liegt in einer Reihe Puppen, die ebenfalls mit den unterschiedlichsten Symptomen zum Puppendoktor gebracht wurden, der für drei Tage Sprechstunde im E-Center im Sangerhäuser Helme-Park hält. Die Praxis in einem Hinterraum des E-Centers hat kaum drei Stunden geöffnet, da muss der Puppendoktor auch bereits nach Lagermöglichkeiten für seine ungezählten Patienten Ausschau halten. "Ist ein bisschen eng hier", sagt Günter Geier. Wahrscheinlich hat man in Sangerhausen aber gar nicht damit gerechnet, welche Völkerwanderung die Ankündigung auslöst, dass der Puppendoktor kommt.

Ute Weniger aus Sangerhausen bringt zum Beispiel ihr Puppenkind vorbei. Jahrelang hatte es krank im Schrank gelegen. Ihre Brüder hatten vor Jahren Puppe Harro in die Finger bekommen und "rumgetreckt". Dann war die Puppte, die Ute Weniger nach ihrem Lieblingsonkel benannt hatte, kaputt. Bald wird sie Harro aber geheilt wieder in die Arme schließen können. Günter Geier spricht nicht von Reparatur. Der Puppendoktor aus Leidenschaft spricht von "heilen". Die Diagnosen klingen sehr menschlich - Rheuma, Bänderzerrung. "Ganz ausziehen. Ich muss sie ja abhören", sagt Geier zu Puppenmutti Mona Goltsch. Sie hat Omas Püppchen in die Sprechstunde gebracht. Eine Sonneberger Puppe und 70 Jahre alt. Fabrikat und Alter erkennt Geier auf den ersten Blick. Klar, wenn man 52 Jahre lang praktiziert.

Aber Geier kriegt auch schwierige Fälle rein, wo es nicht mit ein paar neuen Gummibändern für Arme und Beine getan ist. Dann müssen sie ihn in seine Puppenklinik nach Altendorf begleiten. Mindestens einem der Puppenkinder, die in Sangerhausen zum Doktor kamen, steht diese Reise bevor. Ihm muss ein ganz neuer Körper genäht werden. Auch das kann der Doktor. Löcher im Kopf, fehlende Finger, amputierte Gliedmaßen sind fix wieder heil. Unter die Tische in seiner provisorischen Praxis hat Geier Kisten mit Ersatzteilen geschoben. In einer Plastekiste liegen Arme, in der zweiten Puppenbeine aller Größen und Farben. Das stammt aus Praxisauflösungen anderer Puppendoktoren. Auch Geier will jetzt seine Praxis aufgeben. "Ich bin 72 und mein Herz macht nicht mehr so mit. Außerdem habe ich es meiner Frau versprochen", sagt Geier. Schließlich ist Puppendoktor nichts, was man einfach mal so nebenbei macht. Die lange Patientenreihe, die allein jetzt in Sangerhausen praktisch im Fünf-Minuten-Takt länger wird, lässt erahnen, wie gefragt Geiers Dienstleistung ist. "Es gibt kaum noch Puppendoktoren", sagt Geier. Früher habe es mal in jeder Stadt einen gegeben. Auf dem Dorf heilte der Frisör die kranken Puppen. Jetzt tingelt Geier seit Jahren durch die ganze Bundesrepublik und bietet tageweise in den Städten seine Dienste an. In manche Städte muss er mehrfach zurückkommen. So viele Puppenkinder sind da zu heilen. Deshalb hofft er, dass er vielleicht doch noch einen Nachfolger finden kann. Am besten eine Frau. Dass er einen Mann als Nachfolger finden könnte, kann sich Geier nicht vorstellen. "Männer sind doch nur an Computern interessiert", vermutet der Puppendoktor, der als Junge mit den Puppen seiner fünf Schwestern spielte und wohl daher die Liebe zu diesem Beruf hat. Der Nachfolger würde sogar das Ersatzteillager mit auf den Weg bekommen, und ein Arztkoffer sei schnell ausgestattet. Feile, Kamm, Schere, Pinsel, Nadel, Faden. Viel mehr braucht ein Puppendoktor nicht. Und in sechs Monaten kann man das Handwerk gut erlernt haben.

Wer sich ernsthaft für den Beruf Puppendoktor interessiert, kann unter 0160 / 4 08 28 98 anrufen.