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"Wollen ein ruhiges Leben" Leonora M. aus Sangerhausen beim IS in Syrien: 19-Jährige hofft auf schnelle Rückkehr nach Mansfeld-Südharz

Von Angelika Andräs Aktualisiert: 21.01.2022, 13:20
Leonora mit ihrer 16 Monate alten Tochter Habiba.
Leonora mit ihrer 16 Monate alten Tochter Habiba. ARD

Breitenbach/Zeitz - Geht von den IS-Mitgliedern, die möglicherweise nach Deutschland zurückkehren, eine Gefahr aus? Die 19-Jährige Leonora glaubt das eher nicht. Vor vier Jahren war das Mädchen, das aus Breitenbach bei Sangerhausen stammt, nach Syrien gegangen und hatte sich dort dem Islamischen Staat (IS) angeschlossen.

Sie verstehe, dass nach den Anschlägen des IS viele auch in Deutschland Angst haben, sagte sie am Montagabend in den ARD-Tagesthemen. Voll verschleiert im Nikab und ihre 16 Monate alte Tochter Habiba auf dem Schoß war sie dort in einem Beitrag aus einem Unicef-Flüchtlingslager in Syrien zu sehen. „Vielleicht gibt es ein, zwei darunter, die die Absicht haben, Terroranschläge zu begehen“, sagte die 19-Jährige.

„Was mich und die anderen Frauen angeht, die ich hier gesehen habe, die wollen alle nur nach Hause und endlich, endlich ein ruhiges Leben bekommen.“ Die 19-Jährige schilderte die Zustände in Baghus, von wo sie geflüchtet war, als den reinsten Horror. Sie sei dort fast verhungert.

Leonora in CNN-Bericht: „Ich hoffe, wir sehen uns bald, ich habe dich sehr lieb“

In einem in der vergangenen Woche ausgestrahlten CNN-Bericht hatte sie auch auf die dramatischen Bedingungen für ihre Kinder aufmerksam gemacht. „Meine einjährige Tochter hat keine Kraft zu laufen, weil sie so hungrig ist und bekommt auch keine Zähne, weil es keine Vitamine gibt“, sagt sie in gebrochenem Englisch. „Das kann keine Mutter hinnehmen.“

Bereits seit längerem steht offenbar auch Leonoras Vater in Kontakt mit der 19-Jährigen, heißt es aus dem Umfeld der Familie. Leonora hatte ihrem Vater vergangene Woche in dem CNN-Beitrag auch einen persönlichen Gruß auf Deutsch übermittelt: .„Ich hoffe, wir sehen uns bald, ich habe dich sehr lieb“, sagte sie, während sie in einem Bus saß, der sie in das Flüchtlingscamp in Nordsyrien brachte.

Vater von Leonora will sich nicht äußern

Ihr Vater will sich gegenüber der MZ nicht äußern. Eine neuerliche Anfrage blieb am Dienstag unbeantwortet. Unterdessen ist unklar, wo sich Leonoras Mann Abu Yasir al-Almani genau aufhält. Die beiden hatten 2015 geheiratet - nur wenige Tage, nachdem Leonora damals in Syrien angekommen war. Kämpfer der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) hatten Abu Yasir al-Almani, der laut Medienberichten auch an Hinrichtungen beteiligt gewesen sein soll, Ende Januar nahe der irakischen Grenze mit seinen beiden Frauen Leonora und Sabina festgenommen.

Martin Lemke aus Zeitz als Führungsfigur im "Islamischen Staat"

Geboren wurde der Mann mit dem arabischen Namen 1990 als Martin Lemke in Zeitz, wuchs in einem Dorf in der Nähe auf. „Ein ganz normaler Junge“, sagt eine Verwandte, die nicht weiß, wie sie mit den Geschehnissen umgehen soll. Laut deutschen Medienberichten sei Martin Lemke als einer der wenigen Deutschen im IS-Kalifat zu einer Führungsfigur „aufgestiegen“.

Die Verwandte sagt: „Wie ist diese Wandlung passiert? Wie ist er auf diesen Weg geraten, das frage ich mich immer wieder.“ Er sei zwar manchmal schwierig gewesen, wie Jungen so seien, aber er hatte Humor, verrückte Ideen. Sie denkt etwa an eine Mini-Playback-Show, bei der der damals Neunjährige im Jahr 2000 noch mit viel Spaß und Eifer „Wir greifen nach den Sternen“ sang... Aber er sei auch unsicher gewesen, habe Halt gesucht bei Stärkeren. „Als älterer Schüler ist er von anderen herumgeschubst und gemobbt worden. Ich denke, da ist etwas mit ihm passiert“, so die Frau, deren Name lieber nicht in der Zeitung erscheinen soll.

Anfäng der Radikalisierung: So kam Martin Lemke zum IS

Das sei die Zeit gewesen, schildert auch ein ehemaliger Mitschüler gegenüber der MZ, als er Bomberjacke trug, auf „hart machte“ und kein Opfer mehr sein wollte. Vermutlich kam er so auch in eine Jugendgang, in der außer ihm nur noch ein weiterer Deutscher gewesen sein soll. „Die haben gekifft, sich geprügelt, auch mal was geklaut“, sagt er, „aber auch andere waren mal eine Zeit lang so drauf und haben sich wieder gefangen“.

Martin Lemke schloss sich dem IS 2014 an und lebte in Syrien. Er stieg als einer von wenigen Deutschen bei der Terrorgruppe auf. Lemke war vermutlich in Syrien nicht nur Angehöriger der Sittenpolizei des IS, sondern soll Kader der Amnijat, so etwas wie der Geheimdienst des IS, geworden sein.

Ein auf das Jahr 2015 datiertes Foto zeigt ihn vor einer Stadt im Nahen Osten. Dort soll Lemke in einem Stadion an Hinrichtungen beteiligt gewesen sein und Gefangene enthauptet haben, wie ehemalige IS-Kämpfer in den Medien behaupten. Eine entsprechende Aussage soll ein Mann aus dem Nordirak gemacht haben, der Lemke bereits aus Zeitz kannte.

Am 2. November 2014 fliegt Lemke mit seiner Familie von Hannover nach Istanbul und von da aus weiter nach Syrien. Er folgt dem Ruf ins Kalifat. Dort angekommen heiratet er Leonora aus Sangerhausen, die als damals 15-Jährige zum IS gegangen war. Sie ist seine dritte Frau.

Warum es bei Lemke so anders lief, weiß der heute 30-jährige Mitschüler nicht. „Er war kein Außenseiter, hat bei Motor geboxt, stand sogar für Motor Zeitz auf dem Fußballplatz!“ Aber auch in diesen Gruppen habe Martin Lemke dann doch eher am Rand gestanden. Lemke bleibt in der Region, bekommt 2007 eine Lehrstelle bei der Mibrag, wird nach der Lehre übernommen und arbeitet dort sechs Jahre lang als Schweißer. In dieser Zeit vollzieht sich offensichtlich seine Wandlung. Offensichtlich deshalb, weil es verschiedene Veröffentlichungen auf Facebook gab, berichtet der ehemalige Klassenkamerad.

Martin Lemkes Weg von Zeitz nach Syrien

2010 kam Martin Lemke über eine kurdische Bekannte mit dem Koran in Kontakt, konvertiert zum Islam. 2012 ist er auf einem Foto mit kurzen Haaren und Kinnbart zu sehen, er nennt sich Nihad. Im April 2012 macht er einen Termin beim damaligen Oberbürgermeister Volkmar Kunze (FDP) und fordert einen Gebetsraum für Muslime in Zeitz. Bei Kunze schrillten alle Alarmglocken. „Wir hatten bei ihm kein gutes Gefühl und sind nicht darauf eingegangen“, sagt er. Der Besitzer eines Dönerladens in der Zeitzer Innenstadt hatte oft Kontakt mit ihm.

Er habe ihn immer gewarnt, es sei verrückt, was er tue: „Kehre um, habe ich gesagt, du bist auf dem falschen Weg.“ Seine Freundin, die in Zeitz in einem Café arbeitete, zwingt er dazu, ebenfalls zu konvertieren. Sie heiraten in der Al-Rahman-Moschee in Leipzig. Im Februar 2013 ziehen sie vom Neumarkt in Zeitz in die Leipziger Eisenbahnstraße. 2014 geht es dann nach Syrien.

Mitgefühl für die Eltern von Martin Lemke

In dem Dorf bei Zeitz, in dem Lemke lange lebte, kennt man ihn noch heute, erinnert man sich daran, wo er einmal gewohnt hat. Fragt man Menschen auf der Straße, was ihnen durch den Kopf geht, wenn sie den Namen des Mannes hören, herrscht kurzes Schweigen. Mitleid gibt es keines, höchstens gegenüber den Eltern und Angehörigen. Ein Passant sagt: Nach allem, was er über Lemkes Tun gehört habe, solle er dort seine Strafe bekommen, wo er offenbar Unrecht getan habe. Natürlich könne er aber nicht einschätzen, ob Lemke dies wirklich getan habe. Dennoch stehe fest: „Ich brauche ihn nicht wieder hier.“

Ein anderer Passant ist unterdessen überzeugt davon, dass Lemke nie wieder nach Deutschland und schon gar nicht ins Dorf zurück kommen werde. Die Eltern von Martin Lemke traf die MZ nicht zu Hause an. (mz)