Kostja wünscht sich Vadim als Bruder
Allstedt/MZ. - Das Adoptionsverfahren läuft seit ungefähr einem dreiviertel Jahr, kürzlich war der Junge vier Wochen bei Hussels in Allstedt zu Besuch. Doch die Entscheidung, ob er für immer bei ihnen leben darf, wird wohl noch ein Weilchen auf sich warten lassen.
Friederike und Christian Hussels sind beide Mitte 50 und haben fünf eigene, erwachsene Kinder, die längst selbständig sind. Seit fünf Jahren gehört außerdem der aus Kiew stammende Kostantin zur Familie. Kostja, wie ihn seine Eltern und Adoptivgeschwister liebevoll nennen, ist ebenfalls behindert. "Er hat eine Hemmungsmissbildung der Beine, die auch nicht operiert werden kann. Er kann nur mit Prothesen laufen und braucht jetzt dringend wieder neue, weil die alten zu klein geworden sind", erklärt Christian Hussels, der Arzt ist.
"Unsere jüngste Tochter wurde wenige Monate nach der Tschernobylkatastrophe geboren. Wir haben damals noch im Sauerland gewohnt und uns oft gefragt, wie es den Menschen in dem verseuchten Gebiet gehen mag, als bei uns davon abgeraten wurde, Milch zu trinken", erinnert sich Friederike Hussels, medizinisch-technische Assistentin und der gute Geist in der Praxis ihres Mannes. Später hätten sie sich in einem Tschernobylverein engagiert, Hilfstransporte in die Ukraine begleitet und mit dazu beigetragen, Kinder aus der verseuchten Region über die Ferien ins Sauerland zu holen. "Bei einem unserer Besuche haben uns Bekannte von einem Jungen erzählt, der im Kinderheim lebt und gern Beine hätte", sagt der Allstedter Arzt. Auf diese Weise hätten sie Kostja kennengelernt und auf Anhieb gewusst, dass er langfristig medizinische Hilfe brauche - und eine Chance im Leben. Das Ehepaar überlegte nicht lange und beschloss, den Jungen, wenn möglich, zu adoptieren. Hussels absolvierten Seminare, gaben für einen Sozialbericht in Gesprächen über sich Auskunft, legten Führungszeugnisse vor und "sammelten" Stempel - insgesamt 29 wollten die Behörden beider Länder sehen.
Ziemlich schnell habe Kostja, als er schließlich bei ihnen war und anfangs nur auf dem Bauch robben konnte, stehen und laufen gelernt - trotz seiner Behinderung. Die Eltern kauften ihm einen kleinen Rollator, er bekam winzige bunte Gehhilfen - doch umso schneller wollte er ohne all das laufen lernen. Und schaffte es.
Inzwischen besucht der Siebenjährige die erste Klasse der Allstedter Grundschule. Er lernt schreiben, rechnen, lesen und schwärmt wie alle Gleichaltrigen für Spiderman. Doch trotz aller Liebe und Güte, die er zu Hause erfährt, hegt er noch einen Herzenswunsch. "Er möchte so gern einen Bruder haben, der ihm nicht wie alle anderen Kinder davonläuft", sagt Christian Hussels. Und das, sind sich die Eltern und Kostja sicher, soll kein anderer als Vadim sein - auch wenn er von seiner Art her ganz anders ist als Konstantin. "Am ersten Tag hat er viel Rabatz gemacht", erzählt der Siebenjährige, der seinen Wunschbruder "mit Mami" auf der Heimreise nach Charkow begleiten durfte. "Vadim hat gespürt, dass er wieder zurück muss. Es war schrecklich für ihn und für uns, dass er nicht bleiben konnte", sagt Friederike Hussels und wischt die Tränen fort. "Wir befürchten, dass sich alles noch ein Vierteljahr hinzieht."