Fest auf Burg und Schloss Allstedt Fest auf Burg und Schloss Allstedt: Indianer unter Rittern

Allstedt - Das Johlen der Menge hallt durch den Schlosshof. Es ist einer dieser Tage, an denen sich die halbe Stadt und vielleicht noch einige Menschen aus dem Umland versammelt haben. Zum ersten Mal in diesem Jahr, gibt es für die neugierigen Allstedter hier wieder etwas zu sehen: Die Gaukler sind zum Burgfest an die Rohne gekommen und wie anno 1200 will sich das niemand entgehen lassen. Lautenklänge und zotige Lieder dringen auch bis zum Burggraben.
Die Burg Allstedt wurde wohl auf Resten einer früheren Pfalz erbaut. Keinen Ort im Südharz besuchten die deutschen Kaiser häufiger. Allstedt gilt heute als „Lieblingspfalz“ Ottos II. Noch im vergangenen Jahrhundert war das Schloss bewohnt. Gelegentlich residierten die Weimarer Herzöge hier auf ihren Jagdausflügen. Die zu DDR-Zeiten entstandene Dauerausstellung wurde 2013 komplett umgestaltet. Im Mittelpunkt steht jetzt der Reformator Thomas Müntzer. Im Sommer dieses Jahres ist ein Müntzer-Fest im Burghof geplant. (lwö)
Dort sitzt Dieter Strohschein fast allein in seinem Zelt. Als ein kleiner Junge fragt, ob er zur Hand gehen kann, prüft er mit dem strengen Blick eines alten Meisters. Strohschein ist der einzige Sarwürker, den es nach Allstedt verschlagen hat. Will heißen: Kettenhemden und -hauben wandern durch seine Zangen, bevor sie beim Ritter ankommen. Der Weißenfelser braucht Geduld. Ganz unmittelalterlich setzt er die Brille auf, als er die millimetergroßen Metallringe verknüpft. Fertig sieht das Geflecht auf seinem Tisch noch nicht aus: „Ein ordentliches Kettenhemd besteht aus mindestens 25 000 Ringen“, erklärt er. „Da würde ich bestimmt ein halbes Jahr sitzen, wenn ich mich an mittelalterliche Traditionen halte.“ Kaufen wird sein Werkstück in Allstedt darum niemand. „Und das nicht, weil so ein Kettenhemd vor 1 000 Jahren noch zwölf Milchkühe wert war“, scherzt der Sarwürker.
Auf dem Burgfest der Event-Agentur „Sündenfrei“ tummeln sich nur wenige Ritter. Die meisten tragen Teile massiver Rüstungen, echte Schwertkämpfe sind im Vergleich zu den Vorjahren eher spärlich. Im Mittelpunkt des zweitägigen Spektakels steht nämlich der „ganz normale Alltag“ der vergangenen Zeit: Schmiede, Drechsler und fahrende Händler. Dieter Strohschein hat gleich noch seine Familie mitgebracht; alle im Gewand der alten Elbslawen aus ihrer Heimatstadt Weißenfels und alle vertieft in ein Handwerk. Sein Sohn Michael, der den Verein der „Sippe vom Weißen Fels“ führt, bearbeitet eine grob geschnittene Holzschale. Fast schon eine Platte. „Ein Blick in die Allstedter Burgküche genügt, um zu sehen: Ablagen zum Gemüseschnippeln hatten die nicht“, beschreibt er. „Das meiste passierte tatsächlich auf Schalen. Der Tupperware des Mittelalters.“ Würde ihm das heute noch gefallen? Der Schnitzer lächelt und sagt genau das, was alle Historien-Fans auf dem Burgfest antworten würden: „Der Rückzug ins Mittelalter entschleunigt ungemein.“
Doch bei Michael Strohschein hat das noch eine andere Bedeutung: Der Weißenfelser hat täglich mit technischen Erfindungen der Neuzeit zu tun. Er ist Elektriker. Nicht alle Schausteller des Allstedter Spektakels reden gern über ihr bürgerliches Leben außerhalb der Märkte. Sie identifizieren sich lieber mit ihren Rollen. Strohschein ist da ganz offen. „Ich konnte das Mittelalter früher gar nicht leiden“, erinnert er. Er wollte Indianer werden. Gojko Mitic war sein Held. „Solche Filme wollte ich auch drehen“, beschreibt der Mann mit der hellen Haut und den dunkelblonden Zöpfen. „Aber das hat natürlich optisch nicht zu mir gepasst“
Am Anfang seiner „Mittelalter-Karriere“ steht - und auch das hat er mit anderen Fans gemeinsam- die Musik: „Wer jung war, hat über Bands zu dieser exotischen Szene gefunden“, berichtet er. „Bei einigen ist das heute noch so.“ Wurden die Gewandträger früher noch belächelt, zeigen die Leute heute ehrliches Interesse, freut er sich. Nie zuvor gab es beim Allstedter Burgfest mehr Besucher. Für Michael Strohschein zeigt das: „Sein Mittelalter“ ist wieder angekommen in der Mitte der Gesellschaft. (mz)