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Die Liebe hielt ihn in Sangerhausen

Von Beate Thomashausen 02.03.2005, 18:12

Sangerhausen/MZ. - Rudi Schindler wurde im Mai 1913 in Leipzig als zweites Kind eines Maschinisten geboren. Technik und Maschinenbau interessierten den jugendlichen Schindler ganz besonders, deshalb ging er auf Anraten des Vaters zur Höheren Gewerbeschule seiner Heimatstadt. Seine praktische Ausbildung erhielt er in der Leipziger Firma Schmelzer und Marquardt, einer Reparaturwerkstatt für Dampf- und Kraftmaschinen, Pumpen und Kompressoren. Eine weitere Station seines Lebens ist die Arbeit als Motorenschlosser im Flugmotorenbau. Am 27. September 1939 wird er zum Kriegsdienst einberufen. Wieder ist das Glück auf seiner Seite. Er wird stellvertretender Schirrmeister, war für Geräte und Maschinen verantwortlich. Im September 1942 verletzt er sich an der linken Hand als er einen Motor repariert und kommt in ein Heimatlazarett. Damals hilft er seinem Glück ein bisschen nach, und es gelingt ihm, in seine Heimatstadt Leipzig zu kommen.

In gestochener Handschrift verfasst er als 30-Jähriger seinen Lebenslauf. Das Besondere an diesem Schreiben: Schindler bewarb sich damit in Peenemünde bei Wernher von Braun. Dort wird er bis zum 15. Januar 1945 Kraftstoff- und Sauerstoffbehälter montieren. Steht auch als Technischer Zeichner am Reißbrett, wird mitfiebern, ob bei den Starts der so genannten Geheimwaffe alles glatt geht. Dann wird Peenemünde evakuiert.

Nach Sangerhausen kommt Rudi Schindler, als die Tiefflieger den Bahnhof angreifen - im Winter 1945. Im Hinterland sollte eigentlich der Raketenbau fortgesetzt werden. Wernher von Braun ist zu diesem Zeitpunkt in Bleicherode. 1944 war der Restbetrieb der V-Waffenproduktion von Peenemünde dorthin verlegt worden. Am 10. April 1945, so heißt es in der Bleicheröder Chronik, versammeln sich um den Raketenspezialisten von Braun bedeutende Konstrukteure der in Peenemünde zerstörten V- Waffenbasis in Bleicherode, um mit den Amerikanern Arbeitsverträge abzuschließen.

Schindler wird nach Sangerhausen geschickt, um "für die Landser Quartier zu machen". Auch für sich selbst sucht und findet er ein Quartier am Töpfersberg 29. Drei Frauen leben dort, unter anderem die junge Linda Tacke mit ihrer kleinen Tochter Ursula. Wieder hat Schindler Riesenglück. Linda Tacke feiert gerade an diesem Tag ihren Geburtstag. Er wird nicht nur eingeladen, sondern spielt auf der Gitarre. Als es Monate später die "Gelehrtenjäger" der Amerikaner auch auf den Maschinenbauspezialisten aus Leipzig abgesehen haben, und ihn abwerben wollen, ist es die Zuneigung zu Linda Tacke, die den damals 32-Jährigen in Sangerhausen hält.

Wie auch immer er sich entschieden hätte, für ihn wäre es immer richtig gewesen. Schindler strahlt Optimismus und Lebensfreude aus. Heute noch und vor 60 Jahren ganz sicher auch. Mit anderen Fachleuten, die er aus Peenemünde kennt, baut er in der Lengefelder Straße die Peenemünder Maschinen wieder auf. Produziert haben sie letztlich Bollerwagen, die so gefragt waren, dass man sie gleich auf dem Weg von der Lengefelder Straße zum Laden am Töpfersberg verkaufte. Doch mit der Werkstatt war alsbald Schluss: "Als die Amerikaner abzogen, kamen die Russen und bauten die Maschinen ab. Sie gingen als Reparation nach Russland." Zu guter Letzt blieben von der Gerätebau- und Reparaturwerkstätten mbH, wie die jungen Männer ihre neue Produktionsstätte nannten, nur noch zwei Leute übrig, die für die Lederwarenfabrik Maschinen reparierten.

Bereits 1950 spielt er in einer Kapelle mit drei Berufsmusikern - Erich Scheffler, Fritz Kartheuser und Dieter Gaußmann. Sie nennen sich "Die goldenen Vier". Dem Maschinenbau und seiner zweiten Leidenschaft, der Musik, bleibt Schindler sein gesamtes Arbeitsleben treu. Er geht zum Baubetrieb in die Hüttenstraße, übernimmt die Werkstatt als Meister, wird Hauptmechaniker und arbeitet bis zur Rente in der Werkstatt am "Plattenwerk" in Sangerhausen.

Noch heute bewohnt Schindler eine freundliche, helle Wohnung in dem Haus am Sangerhäuser Töpfersberg, an dem er eigentlich nur kurz Quartier machen wollte. Tochter Ursula, deren Lebensweg er sechs Jahrzehnte begleitete, schaut beim Vater liebevoll nach dem Rechten, wie man überall in Schindlers Reich sehen kann.

Die MZ-Lokalredaktion Sangerhausen sucht Zeitzeugen, die das Jahr 1945 in Sangerhausen oder im Landkreis Sangerhausen miterlebt haben. Bitte melden Sie sich in der MZ-Lokalredaktion in 06 526 Sangerhausen, Kornmarkt 1 oder telefonisch unter (03 464) 54 40 61 50.