Der Puppe kann eben keiner was
Sangerhausen/MZ. - Ein mit Spielzeug üppig ausgestattetes Kinderzimmer hatte Michael Hess als Knirps nie. Allerdings den Vorteil, als Tester diverser Neuheiten herhalten zu müssen bzw. zu dürfen. Ansonsten gab es auch in der Familie Hess das Spielzeug nicht im Überfluss, obgleich sie es aus Sicht der Freunde der Hess-Söhne ganz bestimmt hatten.
Und so setzt sich Familientradition gewissermaßen fort: Auch der heute 25-jährige Benjamin - Sprössling von Michael und Martina - konnte keineswegs im eigenen Spielzeug baden.
Noch etwas hat sich in der Firma eingebürgert: Bislang hat noch jeder Hess, der die Firma übernahm, etwas Neues eingebracht. Der eine das Spielzeug überhaupt, der nächste die Kunst, dann kam die Moderne mit Spielkonsolen sowie Games und nun schickt sich Benjamin an, das Online-Geschäft anzukurbeln und hat sich zunächst einmal seiner Leidenschaft, den Modellautos, gewidmet.
Das klingt zwar so gar nicht mehr nach Traditionsbetrieb. Aber genau die Innovationen machen ihn schließlich aus. So kam über die Jahre, was wohl kommen musste: Die Eisenbahn ist kein Dauerbrenner im Spielzeuggeschäft mehr. "Nein, das muss man ganz deutlich sagen, das moderne elektronische Spielzeug, wie die Konsole, hat der guten alten Eisenbahn den Rang abgelaufen", sagt Michael Hess. Seiner Frau Martina überlässt er die - zumindest für Romantiker - gute Nachricht: "Die Puppe, die hat ihren Stellenwert behalten."
Das, was aber wirklich überrascht, das sind die Blechtrommeln. Fast jeder kennt den Spruch vom Knirps, der mit der Trommel um den Christbaum läuft. "Man mag es kaum glauben, aber Blechtrommeln gehen in der Weihnachtszeit richtig gut, das war auch in diesem Jahr nicht anders", so Michael Hess über ein - seiner Meinung nach - Phänomen. Die Blechtrommel, die hat Günter Hess in seinen geschäftigen Jahren schon zigfach verkauft. Der 87-Jährige ist in der Familie auch der Hüter diverser Schätze. Spielzeugschätze natürlich. Ankerbaukästen aus den ersten Jahren hat er noch und viele andere Kostbarkeiten, die von ihrem Reiz nichts eingebüßt haben.
Dass es für Kinder damals wie heute spannend war, zu "Hessens" zu gehen, das kann am besten Martina Hess bestätigen. Sie ist Sangerhäuserin und konnte in Kindertagen nun wahrlich nicht ahnen, dass sie eines Tages selbst beruflich in die Welt der Spiele und Puppen eintauchen und dafür sogar eine große Leidenschaft entwickeln würde. In das Geschäft mit den vielen interessanten und spannenden Spielsachen ist sie sehr gern gegangen.
Und ihr Schwiegervater hat aus dieser Zeit eine Menge Episoden parat. Etwa die, wonach eine kleine Kundin offenkundig darauf wartete, ausdrücklich von der Hess-Mutter statt von einem ihrer Söhne beraten zu werden. Das Mädchen genierte sich wohl den ungefähr gleichaltrigen Verkäufer ihre Herzenswünsche anzuvertrauen, stattdessen nahm sie eine lange Wartezeit in Kauf, bis die Chefin frei war.
Schüchternheiten dieser Art, die legen viele Knirpse von heute nicht mehr an den Tag. Erstens kennen sich die Kinder in der Welt des Spielzeuges dank Werbung bestens aus und zweitens ist vor allem Martina Hess im Dauergespräch mit ihnen. Da kann es durchaus auch mal passieren, dass sie von der Beraterin zur Beratenen wird. Warum denn auch nicht? So ergänzen sich Geschäftsleute und Kundschaft prächtig und Firma Hess kann absolut sicher sein, das Ohr an der berühmten Masse zu haben.
In den heutigen Vormittagsstunden werden noch einmal viele Kunden an den kunterbunten Regalen verweilen. Einige von ihnen möglicherweise auch etwas hektisch mit Blick auf den Kalender und die Uhr. Aber mit leeren Händen ist selten jemand gegangen unter diesen Umständen. Und wer völlig ratlos, der kann schließlich noch zur Eisenbahn greifen. Eine Überraschung wäre das auf alle Fälle.