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Chris Famulla aus Sangerhausen Chris Famulla aus Sangerhausen: Was es bedeutet transsexuell zu sein

Von Tina Edler 13.06.2015, 12:11
Chris auf dem Weg ins neue Leben.
Chris auf dem Weg ins neue Leben. Maik Schumann Lizenz

Sangerhausen - Die perfekte Frau finden, heiraten, eine Familie gründen, einfach glücklich werden? Das wünschen sich die meisten Menschen. So auch Chris Alexander Famulla aus Sangerhausen. Doch bei dem 29-Jährigem ist es ein bisschen anders. Denn Chris heißt eigentlich Claudia und ist transsexuell. Geboren im falschen Körper. Doch bis sie das erkennen konnte, lag ein langer, steiniger Weg hinter ihr.

Oder besser gesagt hinter ihm. Zwar ist Chris offiziell noch kein Mann, doch stellt er sich mittlerweile neuen Bekanntschaften so vor. Immerhin, seine Verwandlung ist auf einem guten Weg. Ende Mai diesen Jahres begann er mit einer Hormontherapie. Ein Hormongel (Testogel) das bei Testosteronmangel verabreicht wird, muss er seitdem einmal täglich auf die Haut auftragen. Und das vermutlich ein Leben lang. Zumindest wenn geschlechtsangleichende Operationen gewünscht sind. Und auch die stehen bei Chris definitiv auf der To-Do-Liste. Denn ohne wäre seine Verwandlung nicht endgültig, findet er. Die erste OP findet etwa nach einem Jahr Hormontherapie statt. Gefolgt von mindestens fünf bis sechs weiteren Operationen. Dazu kommen vierteljährlich Besuche beim Psychologen und im schlimmsten Fall noch Korrekturoperationen, falls notwendig, erklärt Chris.

Wunsch jahrelang geleugnet

Über sein wahres Ich und seine Verwandlung zum Mann so offen sprechen zu können, war für Chris nicht immer eine Selbstverständlichkeit. In seiner Heimat, im sächsischen Zittau, leugnete der junge Mann lange Zeit jenen Wunsch nach dem richtigen Körper. War sich selbst nicht sicher, was eigentlich mit ihm los war. Aufgewachsen bei Adoptiveltern ist er hineingepresst in gesellschaftliche Zwänge und einer aufgezwungenen Geschlechterrolle, beschreibt er es rückblickend. Ein normales Leben führen als Mädchen, mit normalen Partnern, Jungs, Männern. Doch war es das auch - normal?

„Nein, ich machte das nur um meiner Familie zu gefallen. Ich wusste irgendwie immer, dass etwas anders ist. Schon mit drei, vier Jahren, fühlte sich das alles nicht richtig an. Da war das Leben nicht so einfach“, sagt er. Seine Adoptivmutter, die sich so sehr eine Claudia wünschte, war als Krankenschwester in der Heimat und bei jeder Mann bekannt. Ihr wollte er das Getuschel nicht antun. Man hätte darüber geredet, ist er sich sicher. Also behielt Chris seine Probleme für sich verdrängte sie und suchte sich andere Ventile, um damit umzugehen. Schließlich landete er in der Abhängigkeit. Alkoholsucht mit 12 Jahren, später kamen noch weitere Drogen hinzu. Das ganze gipfelte dann in immer mehr Selbstzerstörung durch Verstümmelung. Die Eltern sahen größtenteils weg. Der Kontakt ist seither abgebrochen, das Verhältnis zwischen Mutter und Kind, der Vater starb vor sechs Jahren, zerstört. Lediglich die Oma ist ihm noch geblieben, akzeptiert ihren Enkel und hält weiterhin den Kontakt. Ansonsten ist von seinem alten Leben nicht viel übrig.

Als transsexuell bezeichnet man Menschen, die den Wunsch haben, als Angehörige des anderen Geschlechts zu leben und anerkannt zu werden, so die Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Menschen, die physisch weiblich sind, aber ein männliches Identitätsgeschlecht haben, werden als Frau-zu-Mann-Transsexuelle oder Transmänner bezeichnet. Das Gefühl anders zu sein, stellt sich bei vielen Transsexuellen bereits im Vorschulalter ein.

Bereits vor oder während der Geburt erfolgt die Geschlechtszuweisung - dann wird das biologische Geschlecht (Mädchen, Junge) bestimmt. Das geschieht einmalig. Die Geschlechtszuschreibung ist hingegen ein lebenslanger immer wieder stattfindender Prozess. Primäre und sekundäre Geschlechtsmerkmale spielen dabei keine Rolle. Der Prozess wird durch Informationen wie Gang, Stimme, Gesichtsausdruck oder Körperhaltung festgemacht.

Mit Hilfe medizinischer Maßnahmen soll der Körper soweit wie möglich dem empfundenen Geschlecht angeglichen werden. Die häufig verwendete Bezeichnung Geschlechtsumwandlung ist jedoch falsch. Denn die meisten Geschlechtsmerkmale lassen sich nicht in die des anderen Geschlechts umwandeln. Die Maßnahmen bestehen viel mehr aus einer Folge von Hormontherapien und geschlechtsangleichenden Operationen.

Der therapiebedingte Ortswechsel nach Sangerhausen, den er wegen der diversen Suchterkrankungen gehen musste, brachte dann die erlösende Veränderung. Hier baute er sich ein neues Leben auf. „In der Pubertät dachte ich erst, ich wäre bisexuell, dann, ich sei lesbisch. Erst eine Ärztin bei der Therapie brachte mich in Gesprächen auf den Gedanken, dass ich transsexuell sein könnte.“ Diese Erkenntnis fühlte sich so richtig an, sagt er. „Ich fühle mich jetzt in der Männerrolle richtig wohl und angekommen.“

Dass er seine Geschichte so offen und frei erzählt, hat für ihn aber mehr als nur einen eigenen therapeutischen Zweck. Chris, der als Ehrenamtler im Buratino und in der „Oase“ am Markt in Sangerhausen arbeitet, will damit anderen jungen Menschen die Augen öffnen, ihnen sagen „verschließt euch nicht, steht zu euch.“ Somit hofft er, für sich und andere Transsexuelle mehr Akzeptanz schaffen zu können.

Doch nun liegt erstmal ein langer Weg vor dem jungen Mann. Nach mindestens drei bis vier Jahren, geprägt von Hormontherapien und Operationen, ist Chris dann auch endgültig Chris, so hofft er. Dann kann er ein normales Leben führen. Sein normales Leben. Mit Frau, Kindern und eben allem, was dazu gehört. (mz)