Bestattungshaus in Holdenstedt Bestattungshaus in Holdenstedt: Leben mit dem Tod

Holdenstedt - Der Tod ist näher, als man zunächst denkt: Die Frühlingssonne scheint auf den gepflegten Bürgersteig vor dem Haus mit der pfirsichfarbenen Fassade und dem verklinkerten Tor - ein fast schon unauffälliges, harmonisches Bild an Holdenstedts Lindenstraße. Drinnen stellt Steffi Bendlin gerade frisches Gebäck auf den Glastisch. Sie hat Kaffee gekocht, dessen Geruch jetzt das Büro mit den hellen Möbeln erfüllt. Der Blick fällt auf das Modell eines schwarzen Autos im Regal. Alles wirkt liebevoll, aber dezent dekoriert - mit Zimmerpflanzen und Engelsfiguren. Ja, selbst die runden Urnen fallen nicht aus dem Rahmen. Sie haben ihren Platz hier durchaus verdient, denn der Tod wird hier drinnen zum Geschäft: Steffi Bendlin und ihr Mann Gerald sind nämlich Bestatter. Und heute ist, wie sie sagen, einer ihrer seltenen „Ruhetage“.
Noch habe niemand angerufen, sagt der Chef, als er das Büro betritt. Er wirkt erleichtert. „Wenn das so bleibt, muss ich erst morgen wieder los“, fügt er hinzu. „Die Verstorbenen aus dem Krankenhaus abholen.“ Der 59-Jährige erzählt gern von seiner Arbeit, immer nüchtern und mit der ihm eigenen Ruhe. Von Leichen ist dabei nie die Rede, er spricht von „dem Verstorbenen“ oder „der Toten“. „Ich finde es unpersönlich, ständig von Dingen wie dem Sterbefall oder der Leichensache zu reden. Das klingt so abgebrüht“, erklärt er. „Das sind doch alles Menschen und manchmal, wenn ich mit meiner Frau erzähle, verwende ich auch die Namen der Personen.“
Ohnehin will der Holdenstedter Bestatter so gar nicht in das Bild passen, das Film und Fernsehen von seinen Berufskollegen zeichnen. Er ist kein düsterer Geselle, eher ein ruhiger und gelassener Zuhörer und im Geschäft ein „Quereinsteiger“. „Seit 1998 haben wir geöffnet“, erinnert er sich. Vorher sei er Holzfacharbeiter gewesen. „Einen Sarg könnte ich freilich nicht herstellen“, gibt Bendlin zu. „Handarbeit würde sich da rein finanziell gar nicht lohnen.“
Es gibt schlimme Fälle
Die erste Tote, die er als Unternehmer zu Grabe trug, war eine Frau aus seinem Heimatort. Verstorbene hatte er zuvor schon öfter gesehen; im Praktikum oder als kleiner Junge: „Meine Mutter hat früher in der Kirche von Hedersleben die Leichenhalle zurecht gemacht und mein Opa hat die Gräber ausgehoben. Da war ich oft dabei“, erinnert er sich.
Plötzlich wird seine Stimme ernster. „Ich glaube, ich würde noch jeden Toten, den wir bestattet haben, kennen. Es gibt schon schlimme Fälle. Man kann sich kaum vorstellen, wie zum Beispiel Medikamente einen Körper verändern. Den Angehörigen raten wir dann vom Abschied am offenen Sarg ab.“
Und doch sei es seine Pflicht als Bestatter, einen Toten so würdevoll wie möglich herzurichten, zu waschen und zu kleiden. „Das passiert nicht hier in unserem Bestattungshaus, sondern in Eisleben. Manchmal auch noch am Sterbeort, dem Zuhause der Person“, beschreibt Gerald Bendlin.
20 rabenschwarze Anzüge auf der Stange
Sein kleines Grundstück in Holdenstedt ist erster Anlaufpunkt für die Angehörigen. Draußen, einmal quer über den Hof, liegt der Raum, der zunächst an eine Wäscherei erinnert: Nadel und Faden auf dem Tisch, weiße Kissen und Hemden in den Regalen und 20 rabenschwarze Anzüge auf der Stange. „Für unsere Mitarbeiter“, bemerkt Steffi Bendlin. „Zum Wechsel, falls wir drei oder vier Beerdigungen am Tag haben.“ Sie selbst ist dunkel gekleidet, genau wie ihr Mann. Tragen Bestatter also auch privat schwarz? „Vielleicht“, räumt sie lächelnd ein. „Uns ist das nie schwer gefallen. Gerald kleidet sich schon immer gern dunkel.“
Fliege für die Herren, Rüschen für die Frauen
Und die Verstorbenen? Aus dem Regal holt sie zwei weiße Totenhemden: Mit Fliege für die Herren und mit Rüschen für die Frauen. „Bei der Aufbahrung oder beim Verbrennen kann aber jeder tragen, was er möchte“, erklärt die 56-Jährige. Ein Großvater, im Lieblingsjogginganzug oder Fußballtrikot, das geliebte Plüschtier im Sarg oder Zeichnungen von den Enkeln - längst keine Seltenheit mehr.
Gerald Bendlin übernimmt die Führung. Verstorbene hat er nicht im Haus; die sind in Eisleben untergebracht. Dafür wartet aber eine Urne im Ausstellungsraum. Auf dem Regal stehen Dutzende Gefäße: Einfarbige, mit Landschaftsbildern oder Gravuren. „Bergmannsurnen sind hierzulande sehr beliebt“, sagt er und zeigt ein Exemplar mit Schlegel und Eisen. Es gebe wohl auch ein paar Esoterik-Fans, die durch besondere Verzierungen eine Verbindung zu den Sternen suchen, aber das sei die Ausnahme.
Das tiefblaue Behältnis auf dem Tisch ist jedenfalls mit Asche gefüllt. Doch das, was so oft als Urne betitelt wird, ist nur die äußere Hülle, hübsch und ansehnlich für die Trauerfeier. Drinnen steckt noch einmal eine Aschekugel, auf deren Deckel die Daten des Verstorbenen stehen. „Und dort drinnen ist das Ganze noch mal auf einer Art Stein, damit man auch nach Jahren nachkommt, wer begraben wurde“, so der Bestatter.
Die Wände seines Ausstellungsraumes sind gesäumt von Särgen. Buche oder Eiche - sie sind alle schlicht und einfarbig. Nur eine geschnitzte Rose auf einem Deckel sticht hervor. Kuriose Wünsche? Särge in spektakulären Formen? Gerald Bendlin winkt ab. „Wir sind hier nicht in Amerika“, sagt er. „Die Deutschen wollen einfache, elegante Modelle.“ 40 Kilo wiegt ein Sarg ohne Toten: „Und dann bei der Abholung manchmal bis in den fünften Stock damit.“ Der Holdenstedter beklagt sich nicht. „Das ist unsere Arbeit.“
„Wir müssen uns sehr behutsam vorantasten“
Noch vor gut 20 Jahren hätten seine Frau wohl keine zehn Pferde in den Raum mit den Särgen bekommen. „Viele Menschen scheuen sich davor, sie haben Respekt“, erzählt Steffi Bendlin, die sich längst daran gewöhnt hat.
Und doch weiß sie, dass nicht alle ihre Kunden gern über den Tod reden. „Wir müssen uns sehr behutsam vorantasten“, beschreibt sie ihre Trauergespräche. „Nicht jeder öffnet sich sofort, mancher stößt dieses Thema von sich, doch am Ende müssen wir eine würdevolle Lösung finden. Trauerfeiern lassen sich nicht wiederholen, wenn etwas schief geht.“
Manchmal wird die Bestatterin schon nachdenklich; grübelt mit ihrem Mann über das, was sie täglich zu sehen bekommt. Doch die beiden sind nicht immer bitterernst. Sie zeigen ihre Grillecke, nur wenige Meter von der Kammer mit den Särgen entfernt. „Hier können wir auch mal abschalten“, sagt Steffi Bendlin.
Humorvolle Produkte der Bestattungsindustrie
Zurück im Büro zeigt ihr Mann noch einige erstaunlich humorvolle Produkte der Bestattungsindustrie: Das Modell eines Leichenwagens auf seinem Schrank ist detailliert gestaltet. Gerald Bendlin schmunzelt, als aus dem kleinen Plastiksarg ein Skelett springt. Hat er eigentlich nach all den Jahren noch Angst vorm Tod? „Hat ein Feuerwehrmann Angst vorm Feuer?“, entgegnet er. „Ab einem gewissen Alter, ist man darauf gefasst. Angst, die fühlt man nur, wenn es jemanden trifft, wo niemand darauf vorbereitet war.“ (mz)
Informationen, Rat und Hilfe im Trauerfall auch unter http://www.abschied-nehmen.de (ein Service der MZ)



