Augen erzählen von der Sehnsucht nach Leben
Beyernaumburg/MZ. - Eine Krankheit, die vor zehn Jahren mit dem Stolpern über die eigenen Füße begann und heute den Körper der jungen Frau bis zur Nasenspitze lähmt.
Viele ihrer Gedichte entstehen in der Nacht. Gedichte, die von Kampf und Hoffnung, von Liebe, vom Dasein und der Natur erzählen. Alles in allem eine klare Ansage an das Leben. Vor allem das Eigene, Einzigartige. "Aber: Hallo, ich lebe noch immer!" - mit diesen Worten beendet die Autorin das Vorwort ihrer Gedichtsammlung und entlässt den Leser in sechs Kapitel bereits veröffentlichte und unveröffentlichte Verse. Was sich dem Lesenden dann auf den nächsten 212 Seiten offenbart, ist ein Trip durch die Galaxien menschlicher Gefühle und Wahrnehmungen.
Das Buch endet mit einer Fotocollage, die Nicole Marzusch als Kind und Jugendliche abbilden. Diese Bilder der Vergangenheit sind bewusst von der Autorin an das Ende gesetzt worden: "Sie sollen als Kontrast zum Vorwort stehen und damit dem Leser zu denken geben. Vergangenheit am Ende gleich Zukunft?!" Die Gedichte und Aphorismen sind chronologisch nach ihrem Entstehungsjahr geordnet. Impuls für die Gedichte gibt manchmal nur ein Wort, ein Lied, eine Reportage. Oder das Licht der Sonne, wenn es warm und still in das Zimmer voller afrikanischer Holzskulpturen und auf ihre Haut fällt. Nicole Marzusch ist schonungslos, wenn sie die menschliche Überheblichkeit und den Raubbau an der Natur anklagt; wenn sie den Leser in "Jenseits der Träume" über eine ganze Gedichtlänge mit der Tristes eines regungslosen Körpers konfrontiert. Vor allem aber führt sie den Leser mit ihrem Buch zu Entdeckungen: "Diese Krankheit hat mich zu einer Kämpferin gemacht, die ihr Leben trotz aller Einschränkungen liebt und für ihre Träume und Ziele kämpft", so die Selbstbetrachtung der jungen Autorin. Da lebt ein wacher, gesunder Geist in einem kranken Körper. Der seinen Sinn im Leben sucht und im Schreiben gefunden hat. Mit ihren Versen schreibt sie an gegen das Mitleid, von dem sie sich wünscht, dass es sich in ehrliche Akzeptanz, Achtung und - ja, auch in Hoffnung verwandeln möge. Eine Hoffnung, die sich aus der "Sehnsucht nach Leben" zu speisen scheint.
Nicole Marzusch spricht mit den Augen. Sie sind das einzige Mittel zur Kommunikation zwischen ihrer seelischen Innenwelt und dem, was sie umgibt. Mit hoher Fertigkeit bedient sie ihren Sprachcomputer. Mit seiner Hilfe und der Zuwendung ihrer Familie ist sie weiter Teil des Lebens, kauft ein via Internet, erledigt ihre Bankgeschäfte, liest und schreibt Briefe. Sie ist nicht wehrlos. Nicole Marzusch lebt, krank, aber sie lebt. Und wer weiß, vielleicht vermag ja die Kraft ihrer eigenen Worte da weiter zu wirken, wo die Medizin aufgeben muss. Die Augen der jungen Frau geben Mut, daran zu denken. Sie sind wie ein Blick zum Mond - so voller Leben und der Sehnsucht danach.
Das Buch ist in den Geschäften "Das Gute Buch" und "Teeladen" in Sangerhausen erhältlich.