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Gut besuchtes Bürgerforum in Sangerhausen 200 Menschen kommen zu Gesprächsrunde in Sachen Energiekrise in die Jacobikirche

Die gut eineinhalbstündige Veranstaltung der BIS zeigt die Zerrissenheit der Gesellschaft. Sie wird auch von der Frage des richtigen Umgangs mit Russland überlagert.

Von Frank Schedwill 09.11.2022, 10:22
Mit Kerzen ging es nach dem Forum durch die Kreisstadt bis zur Marienkirche.
Mit Kerzen ging es nach dem Forum durch die Kreisstadt bis zur Marienkirche. Foto: Maik Schumann

Sangerhausen - Die ersten waren schon lange vor Beginn da. Rund 200 Menschen haben am Dienstagabend in der Jacobikirche an einem Forum der Bürgerinitiative Sangerhausen (BIS) zur Energiekrise teilgenommen, bei dem es indirekt auch um den Auslöser der Probleme, Russlands Krieg gegen die Ukraine, ging. Die BIS hatte es unter das Motto gestellt: „Die Welt steht Kopf. Nichts ist mehr, wie es war.“

Historischer Ort

Um es vorweg zu nehmen: Die Zerrissenheit der Gesellschaft zeigte sich auch in der gut eineinhalbstündigen Veranstaltung an dem historischen Ort, wo vor 33 Jahren mit der friedlichen Revolution die Wende in der Kreisstadt begann. Nur, dass die Teilnehmer im Herbst 1989 Angst vor Repressalien der Machthaber haben mussten. Wollten die Protestler in der frühen Wendezeit eine bessere DDR, einte sie diesmal der Wunsch nach Frieden.

Umstritten ist jedoch der Weg dorthin. Das wurde in zahlreichen Wortmeldungen deutlich. So beklagte Unternehmerin Annett Grabarz, sie wisse nicht mehr, wie sie ihre Mitarbeiter beschäftigen solle, wenn sie aufgrund der hohen Energiepreise kein Material mehr bekomme. Deshalb sei sie regelmäßig montags auf der Straße, gehe auf Demos nach Berlin und Leipzig, um ihren Unmut rauszulassen, nicht um Leuten mit Reichsflaggen nachzulaufen. Sie fügte hinzu: „Ich habe noch nie jemanden gesehen, der mit Waffen Frieden geschaffen hat.“ Sie forderte einen anderen Umgang mit Russland. Annegrit Sauerzapf hielt dagegen: „Ich bin Pazifistin“, sagte sie. „Putin hört nicht auf. Er ist ein Faschist. Ich dachte erst, wir sollten keine Waffen liefern, aber er kann nur so gestoppt werden.“ Das sei bei Hitler genauso gewesen.

„Internationaler Nachdenktag“?

Peter Gerlinghoff forderte einen „internationalen Nachdenktag“. Bei diesem solle geklärt werden, „ob wir auf dem richtigen Weg sind“. „Frieden schaffen ohne Waffen, Schwerter zu Pflugscharen - stimmt das nicht mehr“, fragte er und forderte eine Friedensinitiative, was ihm den wohl stärksten Beifall des Abends einbrachte. Gesine Liesong, die selbst der BIS angehört, stellte die Frage in den Raum, wo jeder persönlich anfange, Energie zu sparen. Das sei man seinen Kindern und Enkeln schuldig, wenn man ihnen einen bewohnbaren Planeten überlassen wolle, spielte sie auf den Klimawandel an. „Wir haben nur eine Welt“, betonte sie.

Wir versuchen alles, um die Mieter über den Winter zu bringen.

Thomas Erdmenger, Geschäftsführer der SWG

Die unterschiedlichen Ansichten kamen auch auf dem Podium zum Ausdruck, wo Sangerhausens Oberbürgermeister Sven Strauß (SPD), Landrat André Schröder (CDU), Olaf Wüstemann, Geschäftsführer der Stadtwerke, sowie Thomas Erdmenger, der Chef der Städtischen Wohnungsbaugesellschaft (SWG), Platz genommen hatten. So warnte Schröder vor einem deutschen Sonderweg, nämlich einem Dreifachausstieg aus Kernkraft, Kohle und perspektivisch aus günstigem Pipeline-Gas – selbst nach dem Krieg. „Das ist etwas, was kein Industrieland macht“, sagte Schröder. Er fügte hinzu: „Wohlstandsgefährdung ist kein Exportschlager.“ „Wir müssen mutig genug sein, unsere klimapolitischen Ziele zu überdenken.“ Nicht den Klimaschutz über Bord werfen, sondern die Angebotsseite stärken. Außerdem forderte er, die Politik müsse sich vom Wähler neu legitimieren lassen, was auf Neuwahlen hinauslaufen würde. Davor warnte Strauß, er glaube nicht, dass Neuwahlen ein besseres Ergebnis bringen würden. Eine neuer Wahlkampf würde Stillstand bedeuten. Strauß erinnerte daran, dass die Ukraine nicht nur für sich, sondern für Europa kämpfe. Die Invasion werde keine Ende fingen, wenn man die Ukrainer nicht weiter unterstütze.

Und auch wenn die Zeit der günstigen Energie vorbei ist: Stadtwerkechef Wüstemann sicherte zu, diese „so günstig wie möglich anbieten“ zu wollen. Erdmenger sagte: „Wir versuchen alles, um die Mieter über den Winter zu bringen und die Kosten möglichst niedrig zu halten.“

Blick in die Zukunft

Wüstemann warf außerdem einen Blick in die Zukunft: Auf die Frage von André Röthel nach einem Energiekonzept sagte er, dass die vor Jahren gegründete Sangerhäuser Erneuerbare Energie Service Gesellschaft (SES) verstärkt in Photovoltaik investieren werde. „Die Rahmenbedingungen waren lange so, dass das keinen Spaß machte“, sagte er. Das sei jetzt anders. Jährlich sollen zwei größere Anlagen entstehen. Die SES ist eine 100-prozentige Tochter der Kommunalen Bädergesellschaft (KBS), der Mehrheitsgesellschafterin der Stadtwerke.

Darüber hinaus ist eine Machbarkeitsstudie zu Geothermie geplant. Dabei soll ausgelotet werden, wie Wasser aus den gefluteten Kupferschiefergruben zum Heizen verwendet werden kann. „Das ist nicht ganz trivial“, sagte Wüstemann, weil der Salzgehalt des Wassers hoch sei. „Wir sind aber guter Hoffnung, zu tragfähigen Ergebnissen zu kommen.“ Fossile Brennstoffe wie Gas oder Öl könnten so ersetzt und über Fernwärmeleitungen die Mieter in den Wohngebieten profitieren.

Fortsetzung soll folgen

Moderator Klaus Peche kündigte am Ende der Veranstaltung an, das Forum in absehbarer Zeit fortzusetzen. Gleichzeitig rief er die Teilnehmer auf, sich einzubringen, beispielsweise in Rats- oder Ausschusssitzungen. Es gebe viele Möglichkeiten vor Ort. „Jeder kann etwas bewegen.“

Die Jacobikirche war gut gefüllt.
Die Jacobikirche war gut gefüllt.
Foto: Maik Schumann