Schokohasen, Chemtrails Warum Verschwörungstheorien mehr als eine bloße Dummheit sind

Querfurt - Ein Schokohase hat zu Ostern besondere Aufmerksamkeit erhalten. Weil auf einem Karstadt-Kassenbon „Traditionshase“ und nicht „Osterhase“ stand, entwickelte sich im Netz ein Shitstorm.
Rechte Kreise witterten in der Bezeichnung einen Verrat vermeintlich christlich-abendländlicher Werte, da halfen auch Hinweise der Händler nichts, dass die Firma Lindt bereits seit Jahrzehnten ihren „Goldhasen“ vertreibt und auch die Kassenbon-Bezeichnung „Traditionshase“ nichts mit der jüngsten Zuwanderung zu tun habe.
Der Schriftsteller und Journalist Daniel Kulla hat sich mit solchen Verschwörungsmythen beschäftigt. Am Donnerstag gastiert er mit einem Vortrag zu „Entschwörungstheorien“ in Querfurt. Robert Briest verriet er, was das sein soll und wie man mit Mythen umgehen sollte.
Der Begriff „Verschwörungstheorie“ ist klar. Aber was sollen denn Entschwörungstheorien sein?
Daniel Kulla: Der Begriff „Verschwörungstheorie“ ist leider gar nicht klar. Mit ihm werden Untersuchungen zu realen Verschwörungen mit den eingebildeten oder stark ausgeschmückten zusammengeworfen, oft auch mit Auffassungen, in denen gar keine Verschwörung vorkommt. Mein Buch und Vortrag zum Thema habe ich „Entschwörungstheorie“ getauft, um mich von beiden Seiten her über diesen Begriff lustig zu machen.
Sie schreiben darin, dass sich heutige Verschwörungstheorien von alten unterscheiden. Inwiefern?
Vor dem Ende des 18. Jahrhunderts gab es noch nichts, was so hieß und was ähnlich weitreichend und systematisch argumentierte. Kurz gesagt: Vorher wusste man es oft wirklich nicht besser, schrieb unverstandene gesellschaftliche Prozesse gewohnheitsmäßig unsichtbaren Machenschaften zu, danach hätte man es schon besser wissen können.
Sie sehen bei Teilen der Bevölkerung ein geschlossenes Verschwörungsdenken. Wie äußert sich das?
Generell sind alle Formen von Ideologie besonders gefährlich, wenn sie sich abschließen, wenn sie sich gegen Einwände und Widersprüche vollständig immunisieren. Die Annahme und Unterstellung von übermächtigen Verschwörungen dient ja dazu, Risse in ideologischen Erzählungen zu kitten, was meist mit schärferen Feindbildern einhergeht. Wenn auch dieses Kitten zur Dauereinrichtung wird, kann bloße Verdächtigung schneller in Verfolgung übergehen.
In der Ankündigung zu Ihrem Vortrag schreiben Sie von einer Unzufriedenheit mit dem aktuellen Umgang mit Verschwörungstheorien. Was stört Sie?
Da stimmt leider vieles nicht: Ideologischer Verschwörungsdiskurs ist kein Randphänomen, sondern kommt aus allen Teilen der Bevölkerung. Ebenso wenig ist er ein Überbleibsel aus der Vergangenheit, bloße Dummheit oder Kinderei – er gehört zu dieser Gesellschaftsordnung und wird von ihr beständig hervorgebracht. Er ist auch keine eigene Form von Ideologie, sondern sitzt meist auf den am weitesten verbreiteten Formen auf: dem ganz alltäglichen Nationalismus, Sexismus, Rassismus, Antisemitismus. Wie Ideologie insgesamt, ist er auch nicht aus sich selbst heraus gefährlich, sondern zeigt eher anderes an: zunächst Zweifel, den es durchaus zu befördern und verfeinern gälte; und erst dann das erfolgreich gekittete Weltbild, das nun umso wuchtiger handlungsleitend werden kann.
Wie sollte denn die Gesellschaft und insbesondere auch die Politik Ihrer Meinung nach Verschwörungstheorien die Grundlage entziehen?
Statt sich über die Verrückten am Rand lustig zu machen, wäre es wichtig, die Alltagsideologie der Mehrheit in den Blick zu nehmen. Es geht darum, wie sich Menschen zueinander und zu Staat und Herrschaft stellen. Wer sich auf die Seite des Staats schlägt, übernimmt auch dessen Position: die Nation als vermeintliche Gemeinschaft der Tüchtigen gegen die Betrüger, Unruhestifter, Faulen, Kriminellen und Primitiven von den Rändern der Gesellschaft und von draußen zu verteidigen – das ist die Hauptquelle von Ideologie. Dagegen hilft vor allem der möglichst ebenbürtige Zusammenschluss von so viel wie möglich Menschen über die sozialen Spaltungen und Generalverdächtigungen hinweg, um die Konkurrenz zwischen ihnen zu überwinden, selbst gemeinsam über ihren Lebensunterhalt zu bestimmen und damit der Ideologie ganz handgreiflich die Grundlage zu nehmen. (mz)
Vorträge von Daniel Kulla: