Flüchtlinge Flüchtlinge: Querfurter Gegensätze beim Thema Asyl

Querfurt - Ja, sagt die 17-jährige Maria Seidler, es sei auch „ein Statement“. Ein Zeichen nach außen, „gerade weil wir hier eine so hohe AfD-Wählerquote hatten.“ Maria ist Schülersprecherin am Gymnasium Querfurt, einer Schule, die sich spätestens im September offiziell „Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage“ nennen will. Es wäre die achte beziehungsweise neunte im Saalekreis - in einem Ort, der zuletzt auch in anderer Hinsicht Schlagzeilen machte.
„Das fremdenfeindliche Städtchen ohne Ausländer“ titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung im März, kurz nach der Landtagswahl, über Querfurt. Gerade hatte der Kandidat der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD), Gottfried Backhaus, im Wahlkreis 40 das Direktmandat für den Landtag geholt - mit dem zweitbesten Ergebnis eines AfD-Direktmandats landesweit. Neonazis zogen in den Monaten zuvor durch den Ort. In einer Facebook-Gruppe, die sich ausdrücklich zur oft als rechtsextrem eingestuften „Identitären Bewegung“ bekennt, schaukelt sich bis heute die Stimmung gegen Flüchtlinge hoch.
Rund 60 Flüchtlinge in der Stadt
Dabei leben in Querfurt tatsächlich laut Stadt gerade rund 60 - bei 11.200 Einwohnern. Bürgermeisterin Nicole Rotzsch (CDU) verweist auch auf Integrationsprojekte - so spielen Flüchtlinge beim VfL Fußball. Das fremdenfeindliche Bild spiegele nicht Querfurt wider.
Dennoch: „Die Stimmung ist aufgeheizt, gerade weil viele Neonazis bei den Demos sind“, finden Maria und ihr Vorgänger Toni Hübner. Die 17-Jährige gibt in einem Schulprojekt einem sechs Jahre jüngeren Mädchen aus Syrien Deutschunterricht. Sie sehe, wie diese ausgegrenzt wird. „Rassismus und Diskriminierung finde ich schlimm“, sagt die Gymnasiastin. Lange habe sie nur nicht gewusst, was sie dagegen tun kann.
Die Idee, Schule ohne Rassismus zu werden, sei von den Schülern gekommen, betont Schulleiter Ralf Walzebok. Das war im frühen Herbst 2015, unabhängig von der Flüchtlingskrise, noch bevor deren Ausmaß wirklich deutlich wurde. Inspiriert wurden die Schüler auf einem Demokratietag in Magdeburg. Mehr als 80 Prozent der Querfurter Gymnasiasten hätten anschließend bei einer Unterschriftensammlung für die Schule ohne Rassismus gezeichnet, sagt Maria. 70 Prozent waren nötig.
Unterrichtsprojekt zum Thema Flüchtlinge
In einem zweiwöchigen Unterrichtsprojekt drehte sich schon Ende 2015 am Gymnasium alles rund um das Thema Flucht und Asyl. Ja, es gebe Ängste, sagt der Schulleiter. Was man da macht? „Informieren, informieren, informieren.“ Das Projekt Schule gegen Rassismus - Schule mit Courage, sagt er, werde von den Lehrern ausdrücklich unterstützt - es werbe insgesamt um Toleranz und richte sich gegen Diskriminierung von Menschen. Walzebok meint damit nicht nur Flüchtlinge - noch gibt es keinen an der Schule. „Es geht auch um das Klima insgesamt in der Schule“, sagt er, auch um Schüler, die einfach anders sind.
Was Rassismus und Diskriminierung bedeuten, haben die Zehntklässler des Gymnasiums in dieser Woche aus erster Hand erfahren: von Anastasia Gulei, 90 Jahre alt, Überlebende der Konzentrationslager Auschwitz und Bergen-Belsen. Sie hat von der grauen Masse berichtet, die sie damals auf die Felder rings um Auschwitz verteilen musste. Von diesem angeblichen Dünger, der in Wahrheit Menschenasche aus den Krematorien des Konzentrationslagers war.
Sie hat von Tod und Elend erzählt - und absolute Stille erlebt, als sie den Ärmel ihres Pullovers hochzog und ihre auf dem Arm eintätowierte Häftlingsnummer zeigte: die 61369. „Diese Nummer bedeutete, du bist kein Mensch mehr“, sagte sie mit Tränen in den Augen. Die Ukrainerin ist Vorsitzende eines Vereins für KZ-Überlebende, selbst Patin einer Schule ohne Rassismus in Mücheln. Und sie hat eine Botschaft: Gedanken an „Über-“ oder „Untermenschen“ dürfen nicht mehr zugelassen werden. „Alle Menschen sind Gottes Kreaturen.“ (mz)