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Zu viele Küsse! Zu viele Küsse!: Gleimhaus stellt Briefwechsel der Dichter Gleim und Jacobi vor

Von Rita Kunze 09.07.2014, 20:03
Gleimhaus-Direktorin Ute Pott vor dem Porträt des Dichters Johann Georg Jacobi aus dem Jahr 1770.
Gleimhaus-Direktorin Ute Pott vor dem Porträt des Dichters Johann Georg Jacobi aus dem Jahr 1770.  Foto/Repros: Chris Wohlfeld Lizenz

Halberstadt/MZ - Halle, Winter 1767: Der junge Johann Georg Jacobi sitzt mitten in der Nacht an seinem Schreibtisch; er kann nicht schlafen vor lauter Euphorie, die ihn dank einer Zusammenarbeit mit dem Halberstädter Dichter Gleim durchströmt: „So eben, liebster Freund, schlägt die Gespensterstunde; um mich aber hüpfen lauter kleine Amors herum, denn biß ietzt war ich mit den Briefchen meines Gleims beschäftigt. So eine verdrießliche Arbeit mir sonst das Abschreiben ist, so gerne thu’ ich es nun, und oft glaube ich der Sekretär einer Muse oder einer Huldgötting zu seyn.“

„Diese Sprache der Liebe“

Das klingt sehr dick aufgetragen, ist aber wohl durchaus ernst gemeint. Der 20 Jahre ältere Gleim hat in Jacobi einen engen Freund gefunden, mit dem er an einem literarischen Projekt arbeitet, das es so noch nie gegeben hat. Dieser sehr speziellen Männerfreundschaft widmet das Halberstädter Gleimhaus eine Sonderausstellung. Unter dem Titel „Diese Sprache der Liebe“ präsentiert das Literaturmuseum den Briefwechsel der beiden und stellt ihn in den Kontext seiner Zeit.

„So hat das 18. Jahrhundert Briefe geschrieben“, sagt Gleimhaus-Direktorin Ute Pott. „Die Sprache der Liebe ist eine Sprache der Freundschaft“, erklärt sie, und die habe es seit Gleims Zeiten lange nicht mehr gegeben. Bis jetzt: „Die Jugendlichen heute sind die erste Generation seit langem, deren Sprache sehr von Zärtlichkeit und Zuwendung geprägt ist“, sagt Pott.

„Nicht weit von Liebe“

Goethe habe dem Ganzen nicht viel abgewinnen können, habe den Gedankenaustausch in Vers und Prosa als „Wechselnichtigkeiten“ bezeichnet. Auch die Dichterin Anna Louisa Karsch (1722-1791) war wenig begeistert und moniert: „Es werden zu viel Küße dabey außgetheilt...“ Die Karschin ist sauer. Ute Pott: „Sie hat Gleim mit Liebesgedichten besungen, aber Gleim reagiert nicht. Jacobi macht ein Gedicht darüber und teilt es nun der Welt mit.“

Hatten Gleim und Jacobi etwas miteinander? Die Literaturwissenschaftlerin glaubt das nicht: „Das Briefprojekt war relativ früh schon ein literarisches, mit dem Jacobi sich auf dem Markt platzieren wollte.“ Die Texte seien „unglaublich emotional“, von bildreicher Sprache und „hoch aufgeladen“. „Die Briefe strotzen nur so vor Superlativen, von ’liebster’ und ’bester’. Manche haben das falsch verstanden und sich darüber lustig gemacht. Den Autoren war klar, dass das ein Experiment ist.“ Gleim hätte zu euphorische Passagen Jacobis abgemildert: Statt „Liebe“ schreibt er „nicht weit von Liebe“.

Der Halberstädter hätte gern gesehen, dass sein junger Freund zum Dichter wird. Davon aber konnte der nicht leben, und so organisiert ihm Gleim 1769 in Halberstadt einen Job, um ihn in der Nähe zu haben. Jacobi hat nun auch viel Zeit zum Dichten. Doch Anerkennung erhält er mehr von seinem - vor allem weiblichen - Publikum als von Dichterkollegen. 1784 wird er an die Universität Freiburg berufen, wo er einen Lehrstuhl für schöne Künste und Wissenschaften bekommt. 1791 wählt man ihn sogar zum Rektor.

Zeichnerisches Talent zeigte auch der Dichter Johann Georg Jacobi in seinen Briefen, die wie Comics aufgebaut sind.
Zeichnerisches Talent zeigte auch der Dichter Johann Georg Jacobi in seinen Briefen, die wie Comics aufgebaut sind.
Repro/Wohlfeld Lizenz
„Der Amor als Lehrer“ - diese Anspielung kam bei den intellektuellen Kreisen gut an.
„Der Amor als Lehrer“ - diese Anspielung kam bei den intellektuellen Kreisen gut an.
Wohlfeld/Repro Lizenz