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1.050 Jahre kompakt auf über 5 Metern Was alles zwischen den beiden „Europas“ passierte

Der Hoftag Otto I. im März 973 in Quedlinburg ist ein besonderer gewesen. Wie der Verein Kaiserfrühling zu einem Jubiläum eine Erinnerung schaffen will.

Von Petra Korn 19.05.2021, 14:00
Wolfgang Dreysse erläutert in seinem Atelier den Entwurf des Reliefs, das an der Sandsteinmauer im sogenannten Zwingergang, dem Aufgang auf dem Stiftsberg, seinen Platz finden soll.
Wolfgang Dreysse erläutert in seinem Atelier den Entwurf des Reliefs, das an der Sandsteinmauer im sogenannten Zwingergang, dem Aufgang auf dem Stiftsberg, seinen Platz finden soll. (Foto: Korn)

Quedlinburg/MZ - Quedlinburg will 2022 auf seine Ersterwähnung vor 1.100 Jahren zurückblicken, der Verein Kaiserfrühling schaut jetzt schon noch ein Jahr weiter: auf 2023. Dann jährt sich der Hoftag, zu dem Kaiser Otto I. im März 973 in Quedlinburg die Herrscher des damaligen Europas versammelte, zum 1.050. Mal. „Es war der erste Friedenshoftag im christlichen Abendland“, sagt Hansgeorg Wagenknecht, stellvertretender Vereinsvorsitzender. „Dass wir heute in Europa in Frieden leben können, hat damals vorsichtig seinen Anfang genommen.“

Der Verein Kaiserfrühling möchte an diesen Hoftag erinnern, den er seit vielen Jahren in seinen Historienspielen dargestellt hat: mit einem Relief, einer Schautafel, die im sogenannten Zwingergang, dem Aufgang zum Stiftsberg, an der Mauer angebracht werden soll, erklärt Vereinsvorsitzender Detlef Massow. Knapp 134.000 Euro kostet das Projekt; der Verein hat begonnen, Geld einzuwerben, will auch Fördergeld beantragen. Bis März 2023, so das Ziel, soll das Vorhaben gemeinsam mit dem Quedlinburger Bildhauer Wolfgang Dreysse umgesetzt sein, der das Relief gestalten wird.

Die Frau auf dem Stier

Einen Entwurf gibt es bereits: im Atelier von Wolfgang Dreysse. Hier ist das Relief schon einmal fotografisch auf die Absätze in der dunklen Sandsteinmauer aufgesetzt. 5,25 Meter lang und etwa 2,50 Meter hoch soll es werden, erklärt der Künstler. Die bildhaften Teile sollen aus Metall, einer hellen, messingfarbenen Aluminium-Bronze, bestehen, der Bildträger aus einem hellen, sehr glatten Sandstein. Beginn und Ende des Reliefs, mit dem der Bogen über 1.050 Jahre gespannt werden soll, ist jeweils eine ganz eigene Darstellung des Bildnisses der „Europa“, der Frau auf dem Stier.

Für das Jahr 973 stellt Wolfgang Dreysse sie als ein junges Mädchen dar, das ein Kalb auf dem Arm hält, für 2023 als Frau, die einen ausgewachsenen Stier pflegt – „wie der europäische Gedanke auch heute sorgfältig gepflegt werden muss“, sagt der Künstler und fügt mit Blick auf die beiden Figuren hinzu: „Diese Gegenüberstellung mit dem Mythos hat etwas Augenzwinkerndes und gleichzeitig etwas Persönliches.“

Zwischenmenschliche Beziehungen, aber vor allem Kriege

Zwischen den beiden „Europas“ wird Wolfgang Dreysse zwei Kreise anordnen - und in deren oberen Teilen zwei Szenen: In der ersten werde der Hoftag dargestellt, in der Zweiten eine Debatte im Europäischen Parlament. Sie sind „nur ein Ausschnitt“, stellvertretend „für die Geschichte, die dahinter abläuft“, erklärt der Bildhauer. Am unteren Ende des ersten Kreises steht, wie bei einem Durchlauf eines Jahreszahlenbandes angehalten, die 973, am unteren Ende des zweiten Kreises die 2023.

Die beiden Kreise sind durch einen durchlaufenden Graben verbunden, in dem Szenen zwischenmenschlicher Beziehungen zu sehen sein werden: Hochzeiten, Kindstaufen, Begräbnisse – „aber vor allem Kriege“, sagt Wolfgang Dreysse. Eine horizontal zwischen den Kreisen verlaufende Zeittafel listet 16 Jahreszahlen auf – für 16 Kriege von knapp 150, die Europa in den 1.050 Jahren geprägt haben.

Das Modell des Reliefs.
Das Modell des Reliefs.
(Foto: Petra Korn)

Das Relief, sagt Wolfgang Dreysse, „erscheint im ersten Moment als streng, als düster. Aber es regt an, darüber nachzudenken, auch mal ein Buch in die Hand zu nehmen, zur Geschichte Europas nachzulesen.“ Mit dem Relief solle auch ein Beitrag für die neue museale Ausrichtung des Stiftsbergs, an der derzeit gearbeitet werde, geleistet werden: Die Besucher würden im Zugang zum Stiftsberg mit dem Relief empfangen, in die Thematik eingeführt – und mit dem Relief auch wieder verabschiedet.

Start ist, wenn die Finanzierung steht

Um es fertigen zu können, hat Wolfgang Dreysse bereits wieder seine Mitstreiter versammelt, mit denen er auch das Brunnenprojekt der Münzenberger Musikanten umgesetzt hat. Losgehen soll es, sobald die Finanzierung steht. Die auf die Beine zu stellen wird nicht einfach, sagt Detlef Massow. Der Verein hofft, für sein Projekt, in dem es um europäische Geschichte, die europäische Idee und das Zusammenwachsen Europas geht, Unterstützung zu finden und möchte seine Historienspiele und andere Auftritte – sobald sie wieder möglich sind – nutzen, um Spenden zu sammeln. Alle, die zu dem Relief beitragen, sollen auf einer Tafel genannt werden.

2023, so die Anregung von Vereinsvorstand und Künstler, könnte auch genutzt werden, um in Quedlinburg – wie schon 2003 – ein wissenschaftliches Symposium zum Hoftag zu veranstalten. Und die Stadt selbst könnte sich um den Titel „Europäischer Erinnerungsort“ bewerben. (mz)