Waldsterben immer schlimmer Sind die Wälder im Harz noch zu retten?
Harz-Besucher können es eigentlich nicht mehr übersehen: Den Wäldern rund um den Brocken geht es schlecht. Über die Schäden der Wälder im Harz und darüber, ob sie überhaupt noch zu retten sind, spricht Forstwissenschaftler und PEFC-Vorsitzender Peter Gaffert im MZ-Interview.

Landkreis Harz/MZ - Orkantief „Friederike“ fegte vor gut fünf Jahren mit über 200 Km/h über den Harz hinweg und entwurzelte zig Bäume. Es folgten trockene Sommer und Borkenkäferplagen, durch die immer mehr Bäume abstarben – dem Wald im Harz geht es schlecht.
Über die Harzer Wälder und ob sie überhaupt noch zu retten sind, sprach MZ-Redakteur Kjell Sonnemann mit Forstwissenschaftler Peter Gaffert. Er ist Vorsitzender des eingetragenen Vereins PEFC Deutschland mit seinem unabhängigen Waldzertifizierungssystem, und wird künftig dem Krisenstab Wald des Landkreises Harz angehören. Der ehemalige Wernigeröder Bürgermeister leitete nach seinem Studium die Nationalparkverwaltung Hochharz und war Direktor des Nationalparkamtes Kellerwald-Edersee.
Herr Gaffert, die Landkreisverwaltung freut sich, dass Sie als Vorsitzender von PEFC Deutschland e.V. mit Ihrem „langjährigen forstlichen Sachverstand“ künftig im Krisenstab Wald mitwirken werden. Wie sind Sie dazu gekommen?
Peter Gaffert: Das hat sich am Rande des Neujahrsempfanges der Stadt Wernigerode eher zufällig ergeben. Ich hatte vom Krisenstab Wald natürlich gehört und habe spontan meine Unterstützung angeboten. Denn die Waldentwicklung, speziell in der Harzregion, liegt mir besonders am Herzen, und aufgrund meiner Ausbildung, meiner Erfahrungen und auch meiner Vernetzung in der Forst- und Waldszene der Bundesrepublik kann ich vielleicht einen kleinen Beitrag zur Unterstützung leisten.
Der Harz ist Ihre Heimat, Wald und Nachhaltigkeit war Ihnen schon immer ein Anliegen. Wie schlimm steht es um die Harzer Wälder wirklich?
Der Anblick, den die Harzer Wälder uns seit einigen Jahren bieten, schmerzt sicherlich viele. Für viele scheint mit dem Wald Stück Heimat verloren zu gehen. Der Harz leidet wie kaum eine zweite Region in Deutschland seit nunmehr fünf Jahren besonders stark unter Trockenheit und teilweise extrem hohen Temperaturen, insbesondere in den Vegetationszeiten. Das wirkt sich katastrophal aus auf den Zustand der Wälder.
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Besonders stark ist der Brotbaum des Harzes, die Fichte, betroffen. Stürme wie Friederike und Dürrejahre haben dem Borkenkäfer beste Voraussetzungen für eine sogenannte Massenvermehrung geliefert. Die – historisch begründet – überwiegend in Monokultur vorhandenen Fichtenbestände konnten das nicht überleben. In wenigen Jahren wird es bei uns wohl kaum noch Fichtenwälder geben, die älter als 50 oder 60 Jahre sind.
Sehen Sie Chancen, dass die Harzer Wälder wieder zu ihrem früheren Aussehen – wenn vielleicht auch mit anderen Baumarten – kommen?
Ja, selbstverständlich wird es auch in Zukunft wieder Wald im Harz geben. Er wird ganz sicher anders aussehen, aber vor allem wird es mindestens 50 Jahre dauern, bevor wir wieder einen normalen, unseren gewohnten Anblick des Waldes erleben werden. Denn Bäume benötigen nun einmal eine relativ lange Zeit, bis sie „erwachsen“ sind, bis sie Schatten werfen und Kinder sich dahinter verstecken können.
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Was muss sich ändern, damit zukünftige Generationen wieder einen dichten Wald im Harz haben: Braucht es vielleicht ein Umdenken in der Gesellschaft, mehr Einsatz für die Natur, mehr Projekte etwa zum Aufforsten?
Bislang war der Wald immer da, und eigentlich für den Nicht-Fachmann auch überwiegend gesund. Doch seit einigen Jahren sind wir – für jeden sichtbar – mit riesigen Kahlschlägen und toten Bäumen konfrontiert. Dass etwas getan werden muss, ist breiter gesellschaftlicher Konsens. Wenn der Klimawandel und seine Folgen bisher für uns eher abstrakt waren, so ist er nun vor unserer Haustür angekommen.
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In jüngster Zeit hat sich bereits einiges getan – die Menschen sind nach meinen Erfahrungen viel sensibler geworden. Und so ist die Bereitschaft sowohl in der Bevölkerung als aber auch bei Wirtschaftsunternehmen spürbar gestiegen, etwas für den Wald zu tun. Um auch im Harz in Zukunft wieder gesunden Wald vorzufinden, braucht es auch weiterhin das Engagement der gesamten Gesellschaft, viel Kraft, aber auch viel Geld – es ist eine Generationenaufgabe. Sowohl für die Wiederbewaldung im speziellen als aber auch gegen den Klimawandel allgemein jeder kann einen kleinen Beitrag leisten.
PEFC ist die größte Institution zur Sicherstellung nachhaltiger Waldbewirtschaftung – können Sie das bitte erläutern?
Sie können sich PEFC als eine „Nachhaltigkeits-TÜV“ für den Wald vorstellen. Halten Waldbesitzer – egal ob private, staatliche oder kommunale – die strengen PEFC-Waldstandards ein, dann bewirtschaften sie ihre Wälder nachweislich ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltig. Kontrolliert wird das durch unabhängige Dritte.
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In Deutschland sind 8,7 Millionen Hektar Wald PEFC-zertifiziert, das sind knapp 80 Prozent der Gesamtwaldfläche. Das heißt: Wer in Deutschland geschlagenes und verarbeitetes Holz kauft, hat überwiegend nachhaltig produzierte Waren erworben. Verbraucherinnen und Verbraucher können bei ihrem Einkauf bei Holz- und Papierprodukten auf das PEFC-Siegel achten und somit einen nachhaltigen Umgang mit dem Wald unterstützen.
Hintergrund: Krisenstab Wald für den Harz
Anfang Dezember 2020 nahm der neue Krisenstab Wald seine Arbeit auf. Ihn hatte Landrat Thomas Balcerowski (CDU) einberufen. Mitglieder sind Vertreter aller Waldeigentumsformen des Forstausschusses, ein Vertreter des Landesministeriums für Wirtschaft, Tourismus, Landwirtschaft und Forsten, die Vorstandsvorsitzenden des Waldbesitzerverbandes Sachsen-Anhalt und der Forstbetriebsgemeinschaft Ostharz, der Kreisbrandmeister und die Amtsleiter des Ordnungs- und Umweltamtes der Kreisverwaltung. Ferner werden weitere Akteure, die sich für die Zukunft des Waldes engagieren, einbezogen. Beispielsweise der Harzer Tourismusverband, die Wandernadel, die Future-Forest-Initiative aus Blankenburg, und Peter Gaffert.
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Ziel der Arbeit des Krisenstabes Wald ist es, die verschiedenen forstlichen Belange wegen der katastrophalen Situation des Waldes im Harz zu koordinieren, insbesondere die Wiederaufforstung zu forcieren, die Vermarktung des Rohstoffes Holz zu fördern und die Situation des Waldbrandschutzes weiter zu verbessern.