Verkehr Verkehr: Im Geschwindigkeitsrausch

Gernrode/MZ - Das Flaggschiff der Deutschen Bahn ist bis zu 300 Kilometer in der Stunde schnell. Doch der Drang nach Geschwindigkeit manifestiert sich nicht nur heute, im ICE. Schon 1928 wurde ein raketengetriebenes Schienenfahrzeug namens „Eisfeld–Valier-Rakete I“ getestet. Und zwar im Harz.
Hierfür hatte die Gernrode-Harzgeroder Eisenbahngesellschaft (GHE) am 26. Juni einen Streckenabschnitt zwischen Stiege und Eisfelder Talmühle zur Verfügung gestellt. Dieser Fahrtest wurde also nicht auf einer eigens gebauten Versuchsstrecke, sondern auf einem ganz normalen Gleis der noch heute von den Harzer Schmalspurbahnen (HSB) betriebenen Selketalbahn unternommen.
Auf normale Eisenbahnwaggon-räder hatte man eine 2,80 Meter lange Holzkonstruktion, die nur 50 Kilogramm wog, aufgesetzt – das war der Schienenraketenwagen. Dieses seltsame Gefährt erreichte in drei Probeläufen eine Maximalgeschwindigkeit von Tempo 210 , es raste quasi wie ein Geschoss auf vier Rädern über die Schmalspurstrecke. Der Wagen entgleiste zwar während des dritten Probelaufs und ging in Trümmer, doch selbst mit dreifacher Raketenladung war die Zündung planmäßig in den vorausberechneten Stufen verlaufen. Das überzeugte beide am Versuch beteiligten Partner, so dass die Arbeiten fortgesetzt wurden.
Neubau in kurzer Zeit
Die Firma I.F. Eisfeld, Pulver- und Pyrotechnische Fabriken Silberhütte sowie der österreichische Techniker und Raketenexperte Max Valier (1895-1930) entwickelten nun in enger Zusammenarbeit mit den Eisenbahnwerkstätten der Halberstadt-Blankenburger Eisenbahngesellschaft (HBE) in wenigen Monaten ein neues Fahrzeug: Der aus Aluminium gefertigte und mit Speichenrädern versehene Wagen war sechs Meter lang und hatte ein Grundgewicht von 275 Kilogramm. Das als „Eisfeld-Valier-Rakete 2“ bezeichnete Gefährt war mit 36 Raketen von je 3,8 Kilogramm Gewicht bestückt.
Auf normalspurigen Gleisen der HBE wurde zwischen Blankenburg und dem Bahnhof Börnecke am 3. Oktober 1928 auf einer Fahrstrecke von 800 Metern mit den im Selketal entwickelten Raketentriebwerken sogar eine Spitzengeschwindigkeit von 253 Kilometern pro Stunde erreicht.
Im Gegensatz zu den geheim gehaltenen Vorbereitungen wurden die Versuchsfahrten ganz bewusst öffentlich durchgeführt. Interessierte Bürger und Pressevertreter, ja sogar schon Kamerateams waren zugegen. In Interviews äußerte sich Max Valier begeistert über die Entwicklung der Raketen-Antriebskräfte. Möglichkeiten künftiger Weltraumflüge hatte er schon 1924 in seinem Buch „Der Vorstoß in den Weltenraum“ dargelegt.
Für ihn war dieses Thema zum Lebensinhalt geworden. In unzähligen technischen Versuchen, für die er immer wieder leistungsfähige und risikobereite Partner gewinnen konnte, fand er seine visionären Vorstellungen künftiger Raketenflüge bestätigt. Er wollte auch die Öffentlichkeit für diese durchaus realisierbare Idee gewinnen. So schrieb er zahlreiche Publikationen und hielt Vorträge, einen davon beispielsweise im großen Saal des Quedlinburger Kaiserhofs.
Den im Harz und Vorharz unternommenen Schienenfahrzeugversuchen war im April 1928 der erfolgreiche Test eines vergleichbaren Straßenfahrzeuges vorausgegangen: Auf der Opel-Rennstrecke bei Rüsselsheim war der erste Rennwagen mit Pulverraketenantrieb gestartet worden.
In acht Sekunden auf Tempo 100
Als Konstrukteure und Raketenpioniere hatten Fritz von Opel (1899-1971) und Max Valier einen Rückstoßversuchswagen gebaut, an dessen Heck sich 24 in Bremerhaven entwickelte Raketen befanden. Diese wurden nacheinander gezündet und bewirkten innerhalb von acht Sekunden eine Beschleunigung von null auf 100. Der Rennwagen erreichte bereits bei seinem ersten Start eine Höchstgeschwindigkeit von Tempo 238. Nach den erfolgreichen Versuchen mit Straßen- und Schienenfahrzeugen im Frühjahr und Sommer 1928 startete Valier im Winter 1928/29 einen mit Pulverraketen angetriebenen Schlitten, der als unbemanntes Fahrzeug 380 km/h erreichte. Die erfolgreiche Zusammenarbeit Valiers mit der Firma Eisfeld und die entgegenkommende Haltung der Eisenbahnunternehmen GHE und HBE stellten eine gute Basis für weitere gemeinsame Projekte dar. Als Initiator dieser Versuche sah Valier optimistisch in die Zukunft.
Seine Visionen erfüllten sich auch wirklich. Nicht zuletzt, weil mit der Technologie der stufenweisen Raketenzündung eine geeignete neue Antriebsart gefunden war, die sich zugleich als relativ sicher erwies. Nach vielen erfolgreich getesteten Feststoffraketen wandte sich der umtriebige Raketenforscher auch flüssigen Treibstoffen zu. Bei solchen Experimenten kam es im Mai 1930 zur Explosion einer Flüssigkeitsrakete. Valier erlitt schwerste Verletzungen, an deren Folgen er wenige Tage später starb.
