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Thale Thale: Eine Stadt im Zirkusfieber

Von STEPHAN NEEF 08.08.2010, 16:27

THALE/MZ. - Hesses Nougat enthält allerdings weder Haselnüsse noch Kakaobutter oder Kuvertüre. Sein "Nougat" ist ein gewaltiger, wenn auch nougatbrauner Limousin-Bulle, ein Hüne von Fleischrind. Und ein Prachtexemplar, wie geschaffen für eine Zirkus-Show. Wenn Hesse noch eine schöne Maid aus dem Morgenland (Katy Richter) auf den "Nougat"-Rücken setzt, ist die zirzensische Augenweide perfekt.

Der Hesse-Ochs war der tierische Top-Star jenes einmaligen Zirkus-Unternehmens, das am Sonnabend auf Initiative des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) und im Rahmen der 6. Harzer Sommertage im Thalenser Friedenspark gastierte - ohne Chapiteau und mit winziger Manege, aber mit fast 300 Artisten, Dompteuren, Magiern oder Feuerschluckern. Leider war die Vorstellung des bunten Geschwaders nach knapp zehn Minuten schon beendet. Da traf sich die gesamte Belegschaft zum Schlussbild in der rappelvollen Mini-Arena.

Umjubelt wurde sie trotzdem. Denn eigentlich waren sie nur fantasievoll ausstaffierte Zählkandidaten. Hatte MDR-Moderator Andreas Mann im Rahmen seiner "Sommertour" doch gewettet, dass die Stadt Thale es nicht schaffe, in fünf Tagen einen handgemachten Zirkus mit geschmückter Manege und mindestens 50 Akteuren auf die Beine zu stellen (die MZ berichtete). "Diese Wette hat es in sich", behauptete Manns Kollegin Anja Petzold noch am Abend der Live-Übertragung. Die Betroffenen sahen das etwas anders. Denn schon Tage zuvor hatten die Thalenser Wettspieler den Personalbestand des "Circus Krone" rechnerisch überrundet.

Der Aufwand war jedoch groß: "Das kleine Örtchen steht Kopf", berichtete Moderatorin Susi Brandt im Vorfeld. "Örtchen"-Bürgermeister Thomas Balcerowski wurde im Rathaus zum selten gesehenen Gast, trieb sich stattdessen in Kostümkammern oder Reithallen herum. Schließlich hatte er versprochen, als Zirkus-Direktor aufzutreten. Und das auf dem Rücken von Giorgio, dem edlen Bergtheater-Wallach. Das musste trainiert werden. Die majestätische Prinzipal-Kluft borgte sich Balcerowski in Nachbar-Gemeinden. Den Rock lieh ihm Blankenburg, die Peitsche kam aus Altenbrak, lediglich der Zylinder war in Thale zu Hause.

Leider durfte Giorgio das Manegenrund nicht betreten, wie auch "Nougat", der eine Ehrenrunde wohl sehr genossen hätte. Jörcki, der schneeweiße Papagei von Dirk Pfeiffer, wurde dagegen durchgelassen, wie auch Falke, Schleiereule oder Meerschweinchen. Karin Weinlich hatte Ziegenpeter mitgebracht. Das Urteil der Regie: Quarantäne. Dabei war Peter nur ein lieber Ziegenbock mit gehörnter Teufelsperücke und "rotem Strumpfband am Schwänzchen", wie Frau Hirtin erklärte.

Der über zehn Meter lange, giftgrün gewandete Drachen des SV Bode-Bike durfte nur seinen Kopf (Marko Hamann) in Manege und Kamera stecken. Derweil marschierte der Tross aus Akrobaten und Clowns in das Arenchen, das aus allen Nähten platzte. Der angeblich stärkste Mann der Welt (Peter Kaufmann) konnte seine Ketten nicht sprengen, die Seiltänzerin (Annamarie Schmiel) ihre Leine nicht ausrollen, die Handpuppe der Bauchrednerin (Sigrid Beetz) musste ihren Mund halten.

In dem Tohuwabohu gingen auch aus dem "Ausland" angereiste Mitspieler etwas unter: Das Zwillingspärchen Hannah und Jakob Gaitzsch (6) aus Berlins Szene-Bezirk Prenzlauer Berg lieferte ein perfektes Raubtier-Double. Mario Ziems mobilisierte in Allrode, das sich mit Thale immer noch nicht gänzlich anfreunden will, die nach einer alten Sägewerk-Kate benannten "Bogenschuppen-Jungs", die mit historischen Badeanzügen, schwarzer Melone und leibhaftigem Pferd ins Bodetal kamen. Ziems will den Besuch aber nicht als politische Geste verstanden wissen.

Das Gesamturteil von Andreas Mann: "Thale ist großartig, so etwas habe ich noch nie gesehen". 250 Zirkusleute hat der MDR letztlich gezählt, und die Wette damit erwartungsgemäß verloren.

Dabei gehen die Angaben über die Zahl der Akteure durchaus auseinander. Thomas Balcerowski geht von mindestens 350 Mitwirkenden am bunten Zirkus aus. Wie hoch der MDR seine Wette verloren hat, ist letztlich egal, verloren ist verloren. "Andy" Mann musste zur Strafe die erste Moderation der anschließenden MDR-Party im Clownskostüm absolvieren. Und Thale erhielt einen 1 000-Euro-Scheck, den der Energieversorger enviaM spendierte. Örtliche Sponsoren, die Harzsparkassen und die Seilbahnen, legten noch etwas drauf.

Nach der Wette war der Abend natürlich noch lange nicht zu Ende, dann nämlich ging die Party erst richtig los. Im Mittelpunkt der mehrstündigen Fete standen die Showband "Two 4 Fun", Oststar Dirk Michaelis und die einstige Kult-Gruppe "Boney M.". Auch Liz Mitchell, die Original-Sängerin der Band, war von den Thalensern begeistert: "Sie sehen so schön aus, mein Gott", rief die Diva den Massen zu Beginn ihrer Show zu.