Simsontreffen in Reinstedt Simsontreffen in Reinstedt: Das Simmi-Woodstock
REINSTEDT - „Vor acht Jahren hatte ich noch gar keinen Führerschein, da bin ich als Sozius nach Reinstedt gekommen“, sagt Christian Schmidt aus Dornstedt. Unterdessen steht er mit einem Trabant einschließlich Dachzelt am Harz-Ring. Aus dem Teutschenthaler Ortsteil reiste auch Thomas Müller an. Er trägt einen Anzug mit Protektoren. „Mein S 50 ist schließlich rennstreckentauglich“, erzählt er. „Der Harz-Ring, das ist Woodstock für Simson-Fans. Ich denke schon, dass dies hier das größte Simmi-Treffen im Jahr ist. Das hat Niveau, da ist Stimmung. Man wohnt Zelt an Zelt, geht bei den Nachbarn vorbei, schwatzt hier und da. Dazu kommt: Die haben hier eine 1-A-Rennstrecke.“
Auf der Bühne am Harz-Ring steht anlassgerecht und metallen der „Simson-Baum“. Für jedes Treffen seit 2001 prangt hier ein Schild. Über Lautsprecher Ossi-Mucke, Trabis, Zelte aus Pouch und Einstrich-Keinstrich-Planen, doch Teilnehmer wie Veranstalter weisen Gedanken an ein rührseliges Ostalgie-Treffen zurück. „Simson ist Kult“, findet Tim, der mit Emely aus Helbra nach Reinstedt gefahren ist und lange nach dem Aus des Heimatlandes der Simson geboren wurde. Max, Justin und Marcel sitzen vor ihrem Zelt und lassen die Beine ins Badebecken baumeln, wo auch ihr Biernachschub schwimmt. „Ossi-Wessi, totaler Schwachsinn. Wir sind aus dem Westen angereist. Da haben unsere Eltern Arbeit gefunden, sie sind aber im Herzen Simson-Fans geblieben. Das hat sich auf uns übertragen. Und wir sind stolz drauf, ziemlich schnelle Mopeds zu haben.“
Jeder aus der Simson-Gemeinde weiß eigentlich, dass es S 51 oder Schwalbe standardmäßig auf 3,4 bis 3,75 PS bringen. Tobias aus dem Barnim kann darüber nur müde lächeln. Seine Schwalbe, künstlich gerostet und mit einem VK-88-Tank auf dem Gepäckträger sowie sechs Bierhalterungen neben dem Vorderrad, fliegt beim Test mit 10,7 PS. Thomas Pleißner aus Dornheim in Thüringen hat das ausgemessen. Er gilt als Ikone bei den Simson-Treffen in dieser Welt. Dicht drängen sich die Fahrer vor seinem Stand. „Wir haben ja damals in der DDR schon gemacht und getan, um unsere Karren aufzustylen, aber da fehlte die nötige Technik. Trotzdem war ich der schnellste - zumindest in unserem Dorf.“ Der Mann, der seine Vergangenheit als Marktschreier weder verbergen kann noch will, beäugt fachmännisch die Fahrzeuge, die auf sein Testgerät rollen. Anerkennend schaut er auf den S 50, der „85 Kubik hat“, wie ihm der Besitzer erzählt. Bis 112 Kilometer pro Stunde wird die Maschine auf den Rollen des Testers hochgepeitscht. „19,2 PS“, bescheinigt der Bildschirm, und die Simson-Freunde drumherum pfeifen leise durch die Zähne.
„Über 500 Teilnehmer rollen über den Harz-Ring“, schätzt ein zufriedener Wolfgang Tiebe, Geschäftsführer und Inhaber der „größten Motorsportanlage am Harz“. Er schickt nach dem obligaten Gruppenfoto am Samstagmittag den gesamten Pulk auf drei Ehrenrunden. An der Spitze fährt auf einem S 50 der Quedlinburger Marco Zschau. Der hat an diesem Tag Geburtstag, muss für seine Party Schlüsselbänder und weitere kleine Dinge verkaufen, um dann 897 Euro zum Feiern zusammenzukratzen.
Hinter dem Jubilar braust ein buntes Simson-Feld über die Rennstrecke. Da rollt ein gerade aus dem Stall geholter SR 2 neben der sorgsam gestylten Maschine mit goldenen Fußrasten, der Star, der nach einer Runde motorbedingt abstürzt, neben einem Fantasie-Gefährt aus S-50-Motor und Einkaufswagen. Der demografischen Entwicklung folgend, durfte auch der Simson-Rollator-Mix nicht fehlen. Immer wieder zeigen Lokalpatrioten, wo Simson weiter zu Hause ist. Die Simsonfreunde Vogtland treffen da auf Gleichgesinnte aus Großkorbetha und die Nordsachsen aus Dommitz, die sich ihr Ortseingangsschild mitgebracht haben und es nach dem Wochenende wieder anschrauben wollen. Sie tuckern mit einer Kombination aus Schwalbe-Rahmen und DDR-Handwagen über den Parcours. „Wir sind Simson-verrückt und haben den Verein Nordcoast Dommitz gegründet.“ Einer von ihnen, unterdessen 25 Jahre alt, hat mit sieben zum ersten Mal am Simson-Moped geschraubt.
Auch Jan aus Schmalkalden ist begeistert vom Harz-Ring. „Tolle Organisation, starkes Programm, und wenn man in die Boxengasse mit der ganzen Technik guckt, merkt man, hier geht es professionell zu.“ Nicht so weit war die Anreise für Mandy Heuer. „Natürlich bin ich standesgemäß mit meinem S-51-Enduro gefahren. Das ist doch jedes Jahr das Highlight. So vor der Haustür lasse ich mir das natürlich nicht entgehen.“ René Schorch aus Wegeleben fehlt seit Jahren ebenso wenig. „Ich bin hier einer der Ersthelfer für die Simson-Maschinen“, erläutert der Mann vom Zweirad-Oldtimer-Classic-Service und wird gleich wieder mit Fragen der Fans bombardiert. „Bremshebel, Gummis für den Kick-Starter und Bowdenzüge sind derzeit die Renner an der Strecke“, zählt er auf. Das geht fast im Heulen der Zweitakt-Motoren unter. Schließlich steht der Simson-Cross an. Das Offroad-Fahren begeistert die Fahrer ebenso wie die Zuschauer. Die strömten schon seit Donnerstag an den Harz-Ring. „Freitag waren bestimmt über 2 000 da, am Sonnabend hielt der Ansturm an“, meinen die Mädels an der Kasse - und gönnen sich bei der Mischung aus Hitze, Begeisterung und Benzin erst einmal eine Abkühlung. (mz)
