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Schicksal einer Quedlinburger Familie Schicksal einer Quedlinburger Familie: "Eine verdammt schöne Zeit"

Von Petra Korn 27.05.2017, 10:55
Daniela Probst und Mia.
Daniela Probst und Mia. privat/Probst

Quedlinburg - Das Handy-Video zeigt ein kleines Mädchen mit großen blauen Augen. Die scheinen zunächst interessiert in die Kamera zu blicken, folgen dann der Richtung, aus der im Hintergrund Stimmen zu hören sind. Jemand streichelt die Wange der Kleinen, in deren Gesicht der Hauch eines Lächelns erscheint.

„Mia hat es geliebt, gestreichelt und getragen zu werden, inmitten von Menschen zu sein“, sagt Daniela Probst. Das kleine Mädchen, das schwerstbehindert zur Welt gekommen war, ist am 26. April gestorben.

Daniela Probst und ihre Familie haben Mia nach einem langen Weg noch für knapp vier Wochen ein Zuhause geben können. Wie die Quedlinburgerin erzählt, hatte sich Mias Mutter schon sehr früh dafür entschieden, ihr Kind zu Adoption freizugeben - „eine legitime Entscheidung“. Vorsorgeuntersuchungen habe sie nicht wahrgenommen.

Mia kam am 27. Juni 2016 in Wernigerode mit einem Hydrocephalus, einem „Wasserkopf“, zur Welt. Sie blieb in der Obhut des Krankenhauses, bekam einen Amtsvormund des Jugendamtes.

Ein „Palliativkind“

In ein Krankenhaus in Halle verlegt, wurde ihr dort ein sogenannter Shunt eingesetzt, damit das Hirnwasser ablaufen kann. Bei einer Computertomographie des Schädels wurde festgestellt, das Mia nicht nur ein Wasserköpfchen hatte; sie hatte keinen Sehnerv, war blind, und ein Teil des Gehirns fehlte. „Aufgrund der Diagnostik wurde ihr wenig bis gar keine Lebenszeit eingeräumt“, berichtet Daniela Probst.

Eine aus Ärzten zusammengesetzte Ethik-Kommission habe entschieden, dass Mia ein „Palliativkind“ sei, es keine lebenserhaltenden Maßnahmen durch Maschinen geben solle. Das kleine Mädchen kam zurück nach Wernigerode in die Palliativpflege.

„Mia war am Kämpfen. Sie stabilisierte sich soweit, dass die Ärzte der Meinung waren, sie müsste nicht im Krankenhaus liegen“, schildert die Quedlinburgerin. Zudem sollte die Kleine nun eine Frühförderung erhalten. Der Amtsvormund sei an die Evangelische Stiftung Neinstedt herangetreten und habe um Aufnahme gebeten.

Daniela Probst ist Heilerziehungspflegerin und arbeitet bei der Stiftung. Hier gibt es im Rahmen des familienunterstützenden Dienstes eine Kurzzeitpflege für behinderte Kinder im Alter zwischen 0 und 3 Jahren. In diesem „Kinderzimmer“ sollte Mia über eine Sondergenehmigung betreut werden.

„Am 13. Oktober kam es zu einem ersten Treffen in Wernigerode. Da habe ich Mia kennengelernt. Ich habe schon damals gesagt, dass ich sie am liebsten mit nach Hause nehmen würde“, erinnert sich Daniela Probst. „Sie war so eine Zuckerschnute.“

Viele Besuche in Wernigerode

Für die „Kontaktanbahnung“ fuhr die Quedlinburgerin von diesem Tag an mehrmals pro Woche nach Wernigerode. Oft wurde sie dabei durch ihre jüngste Tochter begleitet, auch ihre anderen Kinder nahmen Anteil.

Noch in der Anbahnungsphase wurde Mia sehr krank. „Sie hatte sich einen Keim eingefangen.“ Daniela Probst besuchte die Kleine nun jeden Tag, zog sogar für eine Woche mit im Krankenhaus ein. „Mia hat nachts in meinem Arm geschlafen.“

Als es dann im Januar 2017 hieß, Mia solle doch nicht nach Neinstedt, sondern in ein Kinderheim, „war das der Punkt, wo es emotional für mich viel zu spät war. Eigentlich habe ich mich als Mutter zu alt gefühlt. Doch der Oberarzt in der Klinik meinte, das sei egal, Hauptsache, das Kind bekäme eine Familie“, sagt die 46-Jährige.

Am 2. Februar stellte sie beim Jugendamt den Antrag, Mia als Pflegekind in ihre Familie aufnehmen zu können. Die Kleine kam dann doch noch für drei Wochen in ein Kinderheim. Gemeinsam mit ihrer Familie konnte Daniela Probst Mia dann am 30. März abholen. „Wir hatten sie zu Hause und haben dann nach und nach alles angeschafft, was wir brauchten. Auch mit Hilfe ganz vieler Arbeitskollegen.“

Daniela Probst zeigt Fotos von der nun noch größeren Familie, erzählt, dass Mia begonnen habe, zu brabbeln, „wie Babys das machen“, dass sie - mit Hilfe von Physio- und Ergotherapie - angefangen habe, aus der Seitenlage heraus ihr Köpfchen zu kontrollieren.

Und sie erzählt ebenso, dass es neben der Behinderung bei Mia auch Probleme mit dem Natrium-Kalium-Haushalt gab, was sich auf den ganzen Körper auswirkte. Als die Kleine am 26. April sehr blass wurde, alarmierte Daniela Probst den Rettungsdienst. Am Abend dieses Tages starb Mia.

Aus den Erfahrungen ihrer beruflichen Tätigkeit heraus ahnte Daniela Probst, was geschehen würde: Weil Mia keine Angehörigen hatte, war nun das Ordnungsamt zuständig. Sie sollte verbrannt, die Urne anonym bestattet werden. „Das wollten wir nicht.“ Die Quedlinburgerin unterschrieb eine Erklärung, dass sie alle Kosten übernehmen würde. Finanziell auf Rosen gebettet ist die Großfamilie mit fünf, teils schon erwachsenen Kindern nicht. Aber für Mias Beerdigung „würde ich auch einen Kredit aufnehmen“.

Dankbar für Mitgefühl

Mia fand in einem weißen Sarg, den Daniela Probsts Kinder, ihre Nichten und Neffen bunt bemalt haben, ihre letzte Ruhe. Die 46-Jährige und ihre Familie besuchen das Grab täglich. „Mia hat noch ihren Platz unter uns. Sie wird ihn auch behalten. Wir hatten - auch wenn es sehr kurz war - eine verdammt schöne Zeit.“

Eine Familie, findet Daniela Probst, sollte für ein Kind selbstverständlich sein. „Jeder weiß, dass ein Säugling vom ersten Tag an eine Bezugsperson braucht. Doch Mia ist mutterseelenallein gelassen worden“, sagt sie. „Für uns ist diese menschenunwürdige Behandlung, die durch die Gesetzgebung vorgegeben wird, unverständlich.“

Für Daniela Probst ist das ein Grund, über das Schicksal des Mädchens zu sprechen - verbunden mit der Hoffnung, dass künftig „einmal mehr geschaut wird, ob der Platz, an dem sich ein Kind befindet, auch der richtige für es ist“.

Große Anteilnahme erfahren

Ein zweiter Grund ist die große Anteilnahme, die Daniela Probst und ihre Familie insbesondere nach dem Tod Mias erfahren haben. So wurde sogar auf einer Internetseite ein Spendenaufruf gestartet, um Geld für die Bestattungskosten zu sammeln.

„Das Mitgefühl und das Mitdenken von Freunden, Arbeitskollegen, Bekannten, aber auch Menschen, die wir gar nicht kennen, hat uns sehr berührt. Und wir sind sehr dankbar dafür.“

Wie Daniela Probst weiter sagt, hat inzwischen die Evangelische Stiftung Neinstedt die Kosten für die Bestattung übernommen. Mit Hilfe des gespendeten Gelds soll ein Grabstein für Mia finanziert werden. Das verbleibende Geld geht an den Förderverein der Kinderklinik Wernigerode sowie an einen Fonds bei der Evangelischen Stiftung Neinstedt, aus dem Menschen geholfen wird, die sich in einer ähnlichen Situation befinden wie Daniela Probst und ihre Familie. (mz)