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Quedlinburg Quedlinburg: Geschüttelt und gerührt

Von KERSTIN BEIER 12.12.2011, 17:34

QUEDLINBURG/MZ. - Der Anruf der Zeitung verwirrt die Chefin im ersten Moment. Hinter Türchen wollen wir schauen und haben uns ausgerechnet die Apotheke von Margit Wurlitzer ausgesucht. Wir stellen uns vor, wie in Hinterzimmern Tinkturen gemischt, Salben gerührt und Pillen gedreht werden. Aber ist das wirklich noch so? Die Apothekerin muss lachen. Na ja, nicht ganz. Aber wir sollen ruhig kommen.

Und so betreten wir wenige Tage später die Offizin der Löwen-Apotheke in der Pölkenstraße, die seit 1993 von Margit Wurlitzer geführt wird und die so modern und zeitgemäß daherkommt wie fast alle Apotheken. Aber wir interessieren uns nicht für Tresen und lange Regal- und Schrankreihen, sondern dafür, was der Kunde nicht sieht: für Labor, Rezeptur und Warenlager.

Bereitwillig führt die 58-Jährige die Neugierigen in die hinteren Räume. Frau Wurlitzer stammt aus Annaburg bei Wittenberg und hat in Halle Pharmazie studiert. Am Studienort lernte sie auch ihren Mann kennen, der bis vor kurzem noch als Mediziner am Quedlinburger Klinikum arbeitete. Ihre erste Stelle nach dem Studium trat sie 1977 in der Bahnhofsapotheke an. Als ihr Entschluss feststand, sich selbständig zu machen, war sie 40. Bereut hat sie das bis heute nicht. In ihrer Apotheke beschäftigt sie zehn pharmazeutische Mitarbeiter, eine Reinigungskraft und eine Botin. Viele ihre Mitarbeiterinnen haben kleine Kinder und sind auf flexible Arbeitszeiten angewiesen. Frau Wurlitzer versteht das und unterstützt, wo immer es möglich ist.

Wir sind im Labor. Der Raum ist relativ klein und schlauchartig, aber mehr als eine Person muss hier auch nicht arbeiten. An den Wänden Glasregale, auf denen sauber aufgereiht ungefähr 200 Flaschen stehen. "Das sind Reagenziensätze", erklärt Apothekerin Bettina Giersberg. Sie enthalten alles, was die Mitarbeiter für Identitäts- und Reinheitsprüfungen benötigen. Zwar kommen die Grundstoffe, die für bestimmte Rezepturen nötig sind, mit Zertifikat vom Hersteller. Trotzdem muss jede Substanz noch einmal geprüft werden. So ist es Vorschrift nach dem Deutschen Arzneimittelbuch. Das liegt immer griffbereit im Labor und ist sozusagen die Bibel aller Apotheker. Die Geräte, die auf dem langen Labortisch stehen, müssen wir uns erklären lassen. Da sind zum Beispiel das Schmelzpunktbestimmungsgerät oder das Refraktometer. Mit letzterem wird der Brechungsindex für viskose Substanzen und Flüssigkeiten bestimmt. In einer Ecke des Raumes steht ein Abzug, unter dem mit geruchsintensiven und feuergefährlichen Stoffen hantiert wird. Ein weiterer Raum, die Rezeptur, erinnert ein wenig an eine super aufgeräumte und blitzsaubere Küche. In der Rezeptur gleich hinter dem Verkaufsraum entstehen Salben, Lotionen, Flüssigkeiten und Lösungen für den inneren und äußeren Gebrauch. Kaum ein Tag vergeht, an dem hier nicht gearbeitet wird. Ein- bis zweimal im Monat stellen die Apothekenmitarbeiter Kapseln selbst her. Je nach Rezeptur werden die Wirkstoffe individuell auf den Patienten abgestimmt und gemischt und mit Hilfe eines Kapselfüllgerätes produziert.

Die weiß etikettierten braunen Flaschen mit den lateinischen Bezeichnungen, die ringsherum an den Wänden angeordnet sind, sind das einzige, was an eine Apotheke von anno dunnemals erinnert. In den Flaschen befindet sich ein Grundvorrat an Substanzen. "Wie viel wir davon brauchen, ist ein Erfahrungswert. Aber selbst wenn mal etwas ausgeht, ist eine Bestellung innerhalb kürzester Zeit da", beruhigt Frau Wurlitzer. "In der Rezeptur können wir Mengen von bis zu einem Kilo herstellen", erklärt die Chefin und zeigt das automatische Salbenrührgerät.

Nur zwei Schritte weiter ist Ilka Schmidt im Auspack-Fieber. Gerade ist wieder eine Arzneimittellieferung angekommen, Frau Schmidt als Herrin über das Warenlager muss alles vorsortieren, über einen Handscanner erfassen, mit der Bestellung vergleichen und schließlich Verfallsdaten und Chargennummern ins Computersystem eingeben. Und in dem großen Kühlschrank befinden sich nicht etwa die Getränke der Mitarbeiter, sondern verderbliche Medikamente.

Als wir uns von der netten Chefin und den nicht minder aufgeschlossenen Mitarbeiterinnen verabschieden, ist unsere Neugier restlos befriedigt. Nur eins noch: Warum heißt die Löwen-Apotheke eigentlich Löwen-Apotheke? In Erinnerung an ein altes Geschwisterpaar in Göttingen, das seine uralt-urige Apotheke Anfang der 90er aufgab. Einige der Einrichtungsgegenstände hatte Frau Wurlitzer übernommen. "Und eine Löwen-Apotheke gab es hier noch nicht."