1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Quedlinburg
  6. >
  7. Debatte um Straßennamen: Pionier der Züchtungsforschung plädierte in Nazizeit für Zwangssterilisationen: Muss Erwin-Baur-Straße Quedlinburg umbenannt werden?

Debatte um Straßennamen Pionier der Züchtungsforschung plädierte in Nazizeit für Zwangssterilisationen: Muss Erwin-Baur-Straße Quedlinburg umbenannt werden?

Von Ingo Kugenbuch 28.07.2020, 07:56
Die Erwin-Baur-Straße in Quedlinburg: Bei den Erläuterungen zur Person Baurs fehlt eine wichtige Facette des Wissenschaftlers - er war auch Rassenhygieniker.
Die Erwin-Baur-Straße in Quedlinburg: Bei den Erläuterungen zur Person Baurs fehlt eine wichtige Facette des Wissenschaftlers - er war auch Rassenhygieniker. Kugenbuch

Quedlinburg - „Sie dürfen überzeugt sein“, sagte Erwin Baur laut „Personenlexikon zum Dritten Reich“, „dass von niemand sonst die Sterilisationsgesetze der Reichsregierung mehr gebilligt werden als von mir, aber damit ist, wie ich immer betonen muss, nur erst ein Anfang gemacht.“

Baur war ein bedeutender deutscher Pflanzenzüchtungsforscher, aber eben auch Rassenhygieniker, der sich vehement für die Sterilisation „geistig oder körperlich minderwertiger Mutanten“ einsetzte.

Gemeinsam mit seinen Kollegen Eugen Fischer und Fritz Lenz verfasste Baur das zweibändige Lehrbuch „Menschliche Erblichkeitslehre und Rassenhygiene“. Dieser sogenannte Baur-Fischer-Lenz (BFL) wurde zum Standardwerk der Erbgesundheitslehre.

Laut der Dissertation des Düsseldorfer Medizinhistorikers Heiner Fangerau behauptete Ko-Autor Lenz, dass der BFL das Buch gewesen sei, das Adolf Hitler zu den rassehygienischen Artikeln in seinem Buch „Mein Kampf“ inspiriert und ihm für diese als Vorlage gedient habe. Und in Quedlinburg ist eine Straße nach Baur benannt.

„Wir sind für den Hinweis dankbar und greifen das Ganze auf“, sagt Quedlinburgs Pressesprecherin Sabine Bahß auf Anfrage der MZ. In der Stadtverwaltung sei der rassenhygienische Hintergrund Baurs bislang unbekannt gewesen.

Bereits im Jahr 1955 tauche der Straßenname im Archiv der Stadt auf. Damals sei der Druck der Schilder in Auftrag gegeben worden, sagt Sabine Bahß. Wer die Benennung vorgeschlagen hat und wann genau das war, sei nicht bekannt.

Der Straßenname tauche erstmals 1955 im Stadtarchiv auf

Dass ein Rassenhygieniker in tiefsten DDR-Zeiten Namensgeber einer Straße wird - darüber wundert sich Ute Hoffmann, die Leiterin der Gedenkstätte für Opfer der NS-„Euthanasie“ in Bernburg nicht.

„Die Opfer von Zwangssterilisationen und Euthanasie waren in der DDR kein Thema“, sagt sie. Zur Erwin-Baur-Straße in Quedlinburg sagt sie: „Es ist falsch, Personen, die menschenverachtend waren, ein Denkmal zu schaffen.“

Dennoch würde sie niemals eine Stadt zur Umbenennung auffordern. Das müsse dort entschieden und mit der Bevölkerung besprochen werden, sagt Ute Hoffmann, „damit es nicht wie ein Gewaltakt rüberkommt“.

An den Straßenschildern der Erwin-Baur-Straße gibt es zusätzliche Tafeln, die erklären, wer der Namensgeber war: nämlich der „Begründer der Züchtungsforschung in Deutschland“. Dass er auch Vorsitzender der Berliner „Gesellschaft für Rassenhygiene“ war, wird allerdings verschwiegen.

Erwin Baur war Vorsitzender der Berliner „Gesellschaft für Rassenhygiene“

Die Sparkasse, deren Logo auf den Schildern prangt, habe die Erklärungen in Zusammenarbeit mit der Stadt angebracht, sagt Sascha Neuhäuser von der Harzsparkasse. Das sei allerdings noch zu Zeiten der Kreissparkasse Quedlinburg geschehen. „Es ging um die Erfolge der Saatzucht in Quedlinburg“, sagt Neuhäuser. „Die andere Information hatten wir damals nicht.“

Selbst die MZ behauptete noch 2008 in einem Jubelartikel zum 75. Todestags des Rassenhygienikers steif und fest: „Baur war Humanist und kein Sympathisant des Nationalsozialismus.“

In Köln hätte man es eigentlich besser wissen müssen: Dort trug das Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung den Namen des ersten Direktors der Vorgängereinrichtung Kaiser-Wilhelm-Institut für Züchtungsforschung: Erwin Baur. Das führte in den 1990er Jahren zu heftiger Kritik.

Wie die Berliner „taz“ 1992 berichtete, sei daraufhin eine Gruppe von Medizinhistorikern mit einem Gutachten zu Baurs Wirken beauftragt worden. Ihr Resümee hat laut „taz“ gezeigt, „dass Erwin Baur eine geistige Urheberschaft an den historischen Verbrechen, die der Nationalsozialismus begangen hat, nicht angelastet werden kann, er aber Teil hat an der historischen Schuld seiner Generation und seiner Schicht in Deutschland, deren Festhalten an autoritären Strukturen, deren Nationalismus und deren elitäres, demokratiefernes Denken die Bedingungen für die Möglichkeit nationalsozialistischer Herrschaft schufen“.

Gutachten bescheinigt Baur einen Teil „der historischen Schuld seiner Generation”

Er habe, so die Gutachter, „zum wissenschaftlichen Ansehen, zur Verbreitung und zur Institutionalisierung der Eugenik in Deutschland maßgeblich beigetragen“. Die Eugenik ist die „Erbgesundheitslehre“, mit der die Nazis ihre „Euthanasie“-Verbrechen zu legitimieren versuchten.

Wie Baur es bewertet hätte, dass die Nationalsozialisten etwa 400.000 Menschen zwangssterilisieren ließen und mehr als 200.000 Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen ermordeten, wird man nie erfahren. Er starb 1933 - knapp ein Jahr, nachdem die Nazi-Diktatur begonnen hatte. (mz)