November-Lockdown November-Lockdown: "Wir werden in das nächste Loch gestoßen"

Quedlinburg - „Wir entledigen uns unserer Lebensgrundlage - und das sehenden Auges.“ Zum zweiten Mal in diesem Jahr müssen Jens Träger, Leiter des Romantik-Hotels am Brühl in Quedlinburg, und seine 35 Mitarbeiter wegen der Corona-Pandemie ihre touristischen Gäste nach Hause schicken.
Nachdem das Beherbergungsverbot in Sachsen-Anhalt - weshalb Touristen aus Risikogebieten habe abgesagt werden müssen - gekippt worden sei, hatte man gehofft.
„Es macht auch psychologisch was kaputt“
Doch nun sollen Restaurants ab Montag, 2. November, erneut schließen, Hotels keine Touristen mehr beherbergen dürfen. „Wir werden in das nächste Loch gestoßen“, sagt Jens Träger. Wenn die meisten Mitarbeiter nun wieder in Kurzarbeit geschickt werden müssten, treffe sie das jetzt, wo es auf Weihnachten zugehe, ungewiss sei, wie es weitergehe, besonders hart.
„Es macht auch psychologisch was kaputt“, sagt Jens Träger. Hygienevorschriften würden eingehalten, Hotels seien auch laut Virologen kein Treiber der Infektion. „Wir sind enttäuscht über die Maßnahmen, weil wir glauben, unschuldig verurteilt zu sein“, sagt der Hotelleiter.
Weit über das Ziel hinausgeschossen - Weihnachtsmarkt vor Absage?
Frank Ruch sieht das ähnlich: Wenn einerseits erhebliche Kontakte in Kitas und Schulen in Kauf genommen würden „und man andererseits Spezialisten in Sachen Hygienekonzept wie Hotels und Gastronomie die Kompetenz abspricht“, dann sei die Zielgenauigkeit der jetzt getroffenen Maßnahmen in Frage zu stellen, sagt Quedlinburgs Oberbürgermeister.
Mit diesen Maßnahmen - „ein vollständiger Lockdown des gesellschaftlichen Lebens“ - habe man seiner Meinung nach „weit über das Ziel hinausgeschossen“, sagt Frank Ruch. Und die Chance, regional weiterzuarbeiten, sei vertan worden. „Ich bedauere es außerordentlich, dass unser Ministerpräsident den Sachsen-Anhalt-Plan aufgegeben hat.“ Dennoch werde man als Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes die Vorgaben umsetzen.
Was die für den geplanten Weihnachtsmarkt bedeuten?
Er gehe davon aus, „dass wir am nächsten Mittwoch eine Entscheidung treffen werden, und die Waage schlägt momentan eindeutig in Richtung Absage“. Er wolle nicht vorgreifen, so der Oberbürgermeister, der sich am 4. November mit den Vorsitzendenden der Stadtratsfraktionen treffen will. Aber aus seiner Sicht gehe es in Richtung Absage. „Eine Entscheidung zu vertagen in die ersten Dezembertage halte ich für nicht realistisch und nicht durchführbar.“
Weitere Verluste im Theater
Absagen - die wird es nun auch wieder im Nordharzer Städtebundtheater geben. Das bedeute weitere Einnahmeverluste auf diversen Gebieten, sagt Bertram Beier, Chefdisponent und Verkaufsleiter. Vorstellungen könnten nicht stattfinden, Gastspiele des Ensembles an anderen Orten fielen weg, ebenso Vermietungen der Häuser für Veranstaltungen. „Wir gehen aber davon aus, dass wir weiter proben werden, so dass wir nach dem Ende des November-Lockdowns wieder entsprechend unseres Spielplanes loslegen können.“
„Wir halten auf jeden Fall, so lange wir dürfen, ein kleines Angebot vor“
Gastronomie, Kunst, Kultur, Theater, Musiksommer, alle hätten sich bemüht mit guten Konzepten, sagt Nico Reischke, Leiter Marketing und Verkauf bei der Quedlinburg-Tourismus-Marketing GmbH (QTM). „Das alles fällt jetzt erst einmal wieder aus.“
Das sei erneut so ein Rückschlag wie im Frühjahr. Auch für die QTM bedeute das, sich anpassen zu müssen - beispielsweise bei Stadtführungen. Wobei abzuwarten sei, ob es, wenn keine Touristen mehr übernachten dürften, tatsächlich noch einen Bedarf gebe. „Wir halten auf jeden Fall, so lange wir dürfen, ein kleines Angebot vor“, sagt Nico Reischke und denkt dabei beispielsweise auch an Quedlinburger Familien.
„Wir müssen uns der Situation stellen und versuchen auch Online-Angebote“
Wieder schließen müssen und nicht planen können - das bedeuten die neuen Einschränkungen für das Aktivita Sport- und Gesundheitszentrum, sagt Inhaber Ronny Denks. Schon während der ersten Schließung im Frühjahr sei ein Hygienekonzept erarbeitet und dann auch umgesetzt worden. Geräte seien wegen des Abstands auseinandergestellt worden, es gebe Desinfizierungsmöglichkeiten, die Lüftungsanlage laufe permanent, und mit Hilfe des automatischen Check-in-Systems könne „sekundenweise“ dokumentiert werden, wer wann da gewesen sei.
Nun wieder schließen zu müssen, gesundheitsorientiertes Training - auch über Krankenkassen - nicht anbieten zu können - „wir sehen das sehr, sehr kritisch“. In dieser Jahreszeit könne man nicht mehr so viel draußen machen, und nicht zu trainieren, führe zu gesundheitlichen Problemen, schwäche das Immunsystem. „Wir müssen uns der Situation stellen und versuchen auch Online-Angebote. Aber das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt Ronny Denks und fügt hinzu: „Es weiß ja auch keiner, wie es weitergeht. Wenn man Planungssicherheit hätte, könnte man damit umgehen.“
Planen können - das würde auch Jens Träger gern. Im Romantikhotel am Brühl sollen die Wochen im November bestmöglich - beispielsweise für Arbeiten - genutzt werden. Auch die Ausbildung der sechs Azubis geht weiter. Es sei für die Politik schwierig, in dieser Zeit Entscheidungen zu treffen, räumt Hotelleiter Träger ein. Doch er wünsche sich eine Perspektive, wann es weitergehe; für Buchungen brauche es auch einen gewissen Vorlauf.
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Von den geplanten Schließungen sind nach Einschätzung der Handwerkskammer Magdeburg auch Handwerksbetriebe teils unmittelbar, teils mittelbar betroffen. Die Kammer verweist beispielsweise auf negative Konsequenzen für das Lebensmittelhandwerk, Privatbrauereien oder die Textilreiniger durch das erneute Schließen bzw. Herunterfahren von Gastronomie und Hotellerie. Die Handwerkskammer Magdeburg hat ebenso wie die Industrie- und Handelskammer Magdeburg Hotlines eingerichtet.
Für von der Corona-Krise betroffene Handwerksbetriebe hat die Handwerkskammer die Hotline 0391/6 26 80 eingerichtet.
Bei der Industrie- und Handelskammer gibt es drei Hotlines: als erste Anlaufstelle die Telefonnummer 0391/5 69 35 00, speziell für exportorientierte Unternehmen die Telefonnummer 0391/5 69 31 39 und unter 0391/5 69 34 56 zu allen Fragen, die mit den Themen Ausbildung und Prüfung zusammenhängen. (mz)