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Nordharzer Städtebundtheater Nordharzer Städtebundtheater: Bettler Bosse und Banditen

Von Uwe Kraus 17.03.2014, 11:17
Ingo Wasikowski steht als Mackie Messer in der „Dreigroschenoper“ auf der Bühne des Nordharzer Städtebundtheaters.
Ingo Wasikowski steht als Mackie Messer in der „Dreigroschenoper“ auf der Bühne des Nordharzer Städtebundtheaters. Städtebundtheater/Meusel Lizenz

Quedlinburg/MZ - Unterhaltsam, kurzweilig, gut verdaulich, die Hände immer wieder zum Klatschen, weniger zum Schenkelklopfen bereit: Der Südharzer Theatermann Ulrich Fischer bringt eine solide „Dreigroschenoper“ auf die Nordharzer Bühnen. Es dreht sich mit den bekannten Hits ums Prekariat, um Armut, Prostitution und Kanonen. Eine sehenswerte Revue, wie sie Bertolt Brecht nicht verstanden wissen wollte. Aber vielleicht braucht man, wenn man ein intelligentes Publikum hat, hier überhaupt nicht verkrampft den Bogen ins Heute zu schlagen.

Eine schöne Show immerhin, durch die nicht der Hartz-IV-Odem des 21. Jahrhunderts zieht, stattdessen nah am Klang der Platteneinspielung des vorigen Jahrhunderts. Die Musiker um MD Johannes Rieger scheinen den Klang förmlich eingesogen zu haben.

Kunst statt Politik

Am Stück haben sich seit der Uraufführung 1928 viele versucht, Brechts nicht tot zu kriegender Klassiker steht mit Recht weiter auf den Spielplänen. Wie das bestens gefüllte Premieren-Haus in Quedlinburg zeigt, funktioniert die Erfolgsrevue auch heute, selbst wenn sie eher als künstlerisches denn politisches Zeichen gesehen wird, mehr Weillscher Song-Melodik als Brechtscher Sozialkritik anhängt. Dazu gibt es ein instruktives, gut gemischtes Programmheft in Redaktion von Johanna Jäger.

Sven Hansen stattet die Produktion aus. Das Bühnenbild wandelt sich mit wenigen Griffen vom Bettler-Ausstatter in den abgewrackten Puff oder in den Knast, aus dem der Gangster-Boss dank seiner Seilschaften verschwindet.

Regisseur Fischer kündigte Allgemeingültigkeit und einen zeitneutralen Raum an, dabei auf den Zuschauer bauend, der seinen eigenen Wertekanon aufgebaut hat und dem Bestechlichkeit, Verrat, aber auch Freundschaft nicht fremd sind. So rollt viel vor einem Vorhang ab, wohl wissend, dass es dahinter ein Parallelleben gibt.

Überlebens-Egoisten

Darüber hängt das Brechtsche Laufband mit den Titeln der Musiknummern. Teils farbig-grelles Licht rückt die Handlung in eben dieses. Jeder liefert nach Belieben jeden ans Messer, wenn nur die Kasse stimmt oder all die Überlebens-Egoisten im Kampf ums Weiterkommen ihren eigenen Vorteil ziehen können. Polizeichef Tiger Brown (Norbert Zilz) kassiert und kündigt dafür Razzien an. Peachum, der General der Bettler-Armee, stattet sein Fußvolk so aus, dass der Spenden-Teller und seine Kasse nie leer werden. Arnold Hofheinz füllt die Rolle im Spagat zwischen jovialer Hinwendung zu den Ärmsten und kraftvollem Hinlangen. An seiner Seite als dem Alkohol nicht abholde Cecilia Peachum Gerlind Schröder vom Musiktheater-Ensemble, das die Schauspiel-Inszenierung wohltuend belebt.

Ihre Stimme nimmt zuweilen einen rauchigen Weill-Ton auf, darstellerisch ist sie mal weich, doch zumeist in ihrer Art nicht weniger hart, wenn es ums Fortkommen und die Familie geht. Zu ihrem Sorgenkind mutiert Tochter Polly, die den finanziell gut bestallten Gangsterboss Macheath ehelicht. Eine kühl kalkulierende junge Frau, proper, die mit der düsteren Räuberbande ihres Mannes im Pferdestall ihre Hochzeit feiert, später zunehmend die Fäden in die Hand nimmt. Julia Siebenschuh wirkt stimmlich gut disponiert und darstellerisch vielschichtig. Ein Höhepunkt ist ihr zänkisches, wort- wie körperkräftiges Zicken-Duell mit Teresa Zschernig als ausgezehrte Lucy. Bei Barbara Fressner als Ober-Hure Spelunken-Jenny paaren sich Verrat, die Erinnerung an die vergangenen besseren Zeiten und eine Spur Sentimentalität.

Wiederkehr nach zehn Jahren

All sie verfallen dem Charme und Äußeren des Gangsters und Schürzenjägers Mackie, der alles, was er will, irgendwie auf einem verschlungenen Unterweltweg bekommt. Ingo Wasikowski, der vor genau einem Jahrzehnt schon einmal im Bergtheater Thale ins schillernde Milieu hinabstieg, übernimmt stimmlich wie darstellerisch sicher erneut den Part des Gentleman-Ganoven, der erst die Peachum-Tochter vor den versoffenen Pastor zur Eheschließung führt und dann von deren Eltern kurz vor den Galgen gebracht wird.

Er hätte fast das Zeitliche gesegnet, wäre nicht kurz vorher sein korrupter Kumpel Brown per Riesen-Ross mit der Begnadigungsurkunde und „Aufstiegsbescheid“ eingeritten. Die Gegenwart lässt dann doch grüßen.