Kriegskunst Kriegskunst: Silberspur um den Globus

Halberstadt/MZ - Nicht erst seit dem auch in Halberstadt gedrehten Clooney-Film „Monuments Men“ rücken NS-verfolgungsbedingt entzogene und kriegsbedingt verlagerte Kulturgüter in den Fokus der Öffentlichkeit. Scharen von Provenienz-Forschern weltweit befassen sich mit dem Verbleib der Schätze, schreiben an deren Biografien. Einen beeindruckenden Lebenslauf hat der Wertheimer-Oppler-Chanukka-Leuchter, den der Halberstädter Gold- und Silberschmied Thomas Tübner 1710 in seiner Werkstatt schuf. Neben dem vorliegenden Leuchter haben sich im Jewish Museum in New York und im Israel Museum in Jerusalem drei weitere erhalten, die zwischen 1710 und 1715 in der Halberstädter Werkstatt geschaffen wurden.
Der Leuchter erregte 2010 bei seiner Versteigerung bei Sotheby’s in New York gerade wegen seiner bis ins frühe 18. Jahrhundert zurückgehenden lückenlosen Provenienz großes Aufsehen. Er wurde letztlich für 482.500 Dollar von David und Jemima Jeselsohn aus Zürich ersteigert.
Kostbare Leihgaben
Der Wertheimer-Oppler-Chanukka-Leuchter ist derzeit in Österreich zu sehen. Das Jüdische Museum Hohenems blickt in der Ausstellung „Die ersten Europäer. Habsburger und andere Juden – eine Welt vor 1914“ auf die Lebenswelt der „Habsburger Juden“ und ihre Erfahrungen zurück, ihre transnationalen Netzwerke und ihre Mobilität, ihre Hoffnungen auf eine europäische Einigung und ihre Illusionen über das Habsburger Vielvölkerreich. Die Ausstellung präsentiert kostbare Leihgaben aus Museen und Privatbesitz in Europa und den USA. Darunter ist der teilvergoldete Chanukkaleuchter aus der Sammlung von David und Jemima Jeselsohn in Zürich.
Die Exposition erzählt von Kaufleuten und Lastenträgern, Erfindern und verkauften „Bräuten“, Künstlern und Salondamen, Hausiererinnen und Gelehrten, Spionen und Patrioten. So entfaltet die Schau das Panorama eines untergegangenen Reiches, vom späten Mittelalter bis 1914.
Wertschätzung des Kaisers
Juden gehörten in dieser Welt zu den aktivsten Mittlern zwischen den Kulturen und Regionen. Ihre Mobilität und ihre grenzüberschreitenden Beziehungen machten sie zum dynamischen Element der europäischen Entwicklung. In ihren Lebensgeschichten und in den Objekten, die sie hinterlassen haben, verdichten sich hundert Jahre nach dem Beginn des „europäischen Bürgerkriegs“ alle Aspekte einer vergangenen und enttäuschten, missbrauchten, aber immer noch lebendigen europäischen Hoffnung.
Der Wertheimer-Oppler-Leuchter gelangte aus der Halberstädter Werkstatt im Jahr 1713 in den Besitz des österreichischen Hoffaktors Samson Wertheimer (1658–1724), Oberrabbiner der Juden Ungarns und Mährens. Der prächtige Chanukkaleuchter, den ein Doppeladler krönt, war Ausdruck der Wertschätzung des Kaisers, denn nur einflussreichen Hofjuden war es erlaubt, ein Wappen zu führen.
Weg bisher nicht erforscht
Die Umstände des Erwerbs des Leuchters bleiben im Dunkeln. Forscher mutmaßen aber, es könnte sich um ein Geschenk des Halberstädter Hoffaktors Issachar Behrend Lehmann (1661–1730) gehandelt haben. Ab 1824 begleitete der Leuchter den Weg der Wertheimer-Nachkommen von Wien durch Bayern und Franken gen Hannover, wo er ab 1835 nachgewiesen ist. Über mehrere Generationen ging er Anfang des 20. Jahrhunderts an den Rechtsanwalt und Notar Sigmund Oppler über. Er und seine Frau Lily flohen zur Nazi-Zeit nach Amsterdam. Sie nahmen sich vor der bevorstehenden Deportation im September 1942 in Amsterdam das Leben. Nach 1938 verliert sich vorerst die Spur des Leuchters. „Gleichzeitig stellt der Leuchter ein Beispiel für Judaica dar, die während der Schoah als Raubkunst verloren gingen, deren Geschichte jedoch Jahrzehnte später wieder rekonstruiert werden konnte“, so Bernhard Purin, Direktor des Jüdischen Museums München.
Erst in den 1950er Jahren tauchte das wertvolle Stück mit 37 anderen Judaica-Objekten als Geschenk des New Yorker Rechtsanwalts Morris Troper (1892–1963) an die New Yorker Central Synagogue wieder auf. Wie der Europa-Beauftragte beim American Jewish Joint Distribution Committee an die Kunstschätze kam, ist bisher nicht erforscht.
