Inklusions-Festival in Neinstedt Inklusions-Festival in Neinstedt: Geistig und körperlich Behinderte rocken trotz Handicaps

Neinstedt - Ob einige Besucher am Freitag wohl Vorbehalte hatten? Falls ja, dann waren sie unbegründet. Vier Bands spielten auf dem Gelände der Evangelischen Stiftung Neinstedt für das Rockfestival „Neinstedt Inklusiv“. Darunter die Blechbläsergruppe „Tandala Brass“ aus Tansania und die Greifswalder Band „Seeside“. Das Besondere dabei: Ihre Mitglieder sind überwiegend geistig oder körperlich behindert. Doch davon ließen sie sich noch nie einschränken, auch nicht am vergangenen Freitag.
Im Vorfeld des Konzerts erzählten die neun Mitglieder über sich und wie sie zur Musik gekommen sind: Kennengelernt haben sie sich vor etwa zwölf Jahren in der „Greifenwerkstatt“ des Pommerschen Diakonievereins, in der behinderte und nicht behinderte Menschen zusammen arbeiten. Mit der Zeit kamen immer mehr Musiker hinzu.
Die ganze vergangene Woche über fanden in Neinstedt verschiedene Veranstaltungen statt. Die Evangelischen Stiftungen - ehemals Neinstedter Anstalten - veranstalteten eine Festwoche, denn es gab gleich drei Jubiläen zu feiern: Die Stiftungen werden 165 Jahre alt, ihr Gründer, Philipp von Nathusius, würde 200 Jahre alt und die Partnerschaft zum Diakonie-Zentrum in Tandala, Tansania besteht seit 30 Jahren. Sogar ein Bischof aus Tansania kam am Wochenende nach Neinstedt und hielt dort eine Predigt. Zum traditionellen und 165. Jahresfest am Sonntag kamen etwa 3 500 Besucher. (oml)
Schließlich standen sie vor der Frage, ob sie ihre bisherigen Arbeiten für die Musik aufgeben sollten. Sie trauten sich: „Die Voraussetzung für die Freistellung war, dass das Geld möglichst selbst verdient werden soll“, erinnert sich Michael Turban. Er ist eines der neun Mitglieder und für die anderen eine Art Betreuer.
Seitdem die Band den großen Schritt gewagt hat, fährt sie mit ihrem Tourbus quer durch Deutschland und spielte als Vorband schon bei bekannten Künstlern, wie etwa Mike Rutherford und Chris Norman. Die Titel - inzwischen sind es 60 bis 70 eigene Lieder - schreiben sie selbst.
Kampf gegen Vorurteile
Zum Durchbruch verhalf den Musikern vor allem der Titelgewinn bei dem von Guildo Horn initiierten Wettbewerb „Guildo sucht die Superband“. „Seeside“ gewann im Jahr 2011 gegen 203 konkurrierende Bands.
Davon, dass die Bandmitglieder behindert sind - einige sind etwa von Geburt an blind - lassen sie sich nicht bremsen. Obwohl es Noten auch in Blindenschrift gibt, arbeiten die Musiker lieber mit ihrem Gehör: Sie merken sich die komplexen Abfolgen der Töne - eine für Sehende schier unmöglich erscheinende Leistung. Trotzdem hätten sie ab und zu gegen Vorurteile zu kämpfen. Einige Gäste, berichtet die Band, dächten, dass eine Gruppe mit behinderten Musikern schlechter sei als eine Band ohne Einschränkungen. Auch Bühnentechniker arbeiteten manchmal langsamer, weil sie denken würden, dass die behinderten Musiker ja ohnehin mehr Zeit bräuchten.
Zweifel - wenn sie am Freitag da waren - wurden schon kurz nach Beginn des Auftritts weggeblasen. Von 21 bis 22 Uhr rockte Seeside die Bühne in Neinstedt, anschließend gab es noch ein 15-minütiges Höhenfeuerwerk über dem Ort. Das Konzert war Teil der Festwoche, die die Evangelische Stiftung Neinstedt feierte. (mz)