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Ihr persönlicher Traum ist die große Südamerikareise

Von Gerd Alpermann 28.02.2008, 17:43

Quedlinburg/MZ. - Das Reisen war fast 40 Jahre ihr Beruf. Nicht von Ort zu Ort, sondern anderen Reisen vermitteln. Seit 1969 arbeitete Frau Fürchtenicht im Reisebüro in der Steinbrücke 9, heute bei Atlasreisen als Büro-Leiterin.

Eigentlich wollte Gudrun Fürchtenicht Lehrerin werden, doch dann entschied sie sich Knall auf Fall anders. Warum weiß sie heute nicht mehr. Eine Freundin wollte zur Bahn. Da schloss sie sich an. In Aschersleben lernte die gebürtige Quedlinburgerin, verheiratet, eine Tochter, Verkehrskauffrau und war danach auf dem Bahnhof in Thale beschäftigt. Der Schichtdienst sagte ihr aber nicht zu und ein Anruf beim Reisebüro genügte, und sie wurde genommen. Der sicher noch vielen älteren Menschen im Altkreis Quedlinburg bekannte Heinz Meier war dort damals der Chef. "Der war ein toller Typ, der geborene Reiseleiter, vor allem redegewandt", erinnert sich Frau Fürchtenicht gern zurück. Zuerst war der Fahrkartenverkauf ihre Aufgabe, dann Reisen aller Art. Damals wurden neben Privatreisen unter anderem Wochenend- und Mehrtagesfahrten für Betriebe und Brigaden organisiert, aber auch Sonderzüge in die damalige Sowjetunion sowie Schiffreisen auf der Wolga, dem Dnepr und auf dem Schwarzen Meer. 15 Mitarbeiter hatte das Reisebüro zu dieser Zeit.

"Es war noch richtig was los", blickt Frau Fürchtenicht zurück und erzählt, wie sie nachts aus dem Bett geholt wurde. Der Busfahrer stand vor ihr: "Wir haben keinen Reiseleiter." Die Fahrt sollte nach Naumburg und Freyburg gehen. Der Busfahrer erklärte sich kurz entschlossen bereit, die Reiseleitung mit zu übernehmen, doch erst waren noch die Unterlagen für Unterkunft und vieles mehr zu holen. Also musste sie Hals über Kopf, halb angezogen, mit zum Büro in der Steinbrücke. Etwa zehn Busse wurden pro Tag für Harzrundfahrten und Mehrtagesreisen gechartert. Allein die Fahrzeuge beim Kraftverkehr in Ballenstedt zu bekommen, war ein ewiger Kampf, und es geschah schon ab und an, dass mal was fehlte. Zudem gab es nur eine begrenzte Anzahl von Kilometern, die aufgrund des Kraftstoffmangels in der DDR vorgeben wurden. "Trotzdem war es eine tolle Arbeit. Ich würde heute wieder beim Reisebüro anfangen. Das war für mich das Richtige", bekennt Gudrun Fürchtenicht.

Auf Heinz Meier folgten noch drei Leiter ehe Frau Fürchtenicht, zuvor bereits Stellvertreterin, 1982 das Ruder im Reisebüro übernahm. Ein fünfjähriges Fernstudium im damaligen Karl-Marx-Stadt war die Voraussetzung. Das war Mitte der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts. 1990 schrumpfte das Team zusammen. Von ehemals 15 Mitarbeitern blieben vier übrig, die Bürofläche schrumpfte ebenfalls. Die Aufgaben wurden auch andere. Die Vermittlung von Reisen für große und kleine Anbieter löste das Organisieren von Fahrten ab. Die Filiale in Quedlinburg wurde Teil großer Konzerne und gehört heute der Firma Atlasreisen mit Hauptsitz in Frankfurt / Main.

Ihre erste Reise nach 1990 führte Gudrun Fürchtenicht nach New York. "Da war ich ganz schön blauäugig, kaum angekommen im Hotel, hat mir jemand den Koffer gestohlen. Da war ich geschockt, denn ich hatte noch eine Reisegruppe zu betreuen." Das weiteste Dienstreiseziel, um selbst zu erleben, was den Kunden geboten wird, waren vier Tage Hongkong. Damals noch englische Kronkolonie und mit einem Flughafen, dessen Anflug zu dem spektakulärsten gehörte, was die zivile Luftfahrt zu bieten hatte, seit einigen Jahren aber außer Dienst gestellt. Die Tochter von Gudrun Fürchtenicht arbeitet in London, an der deutschen Botschaft als Presseverantwortliche, die sie jetzt im Ruhestand auch einmal besuchen möchte: "40 Jahre am selben Ort arbeiten, wie ich, kann sich meine Tochter aber nicht vorstellen."

Und die heutigen Kunden? Nach der Wende waren die Kanaren und Mallorca die Renner, weiß Gudrun Fürchtenicht. Der Trend gehe aber immer mehr hin zu Erlebnisreisen. Nur am Strand liegen, komme nicht mehr so gut an. Was sie besonders freut, ist, dass viele Kunden "ihrem" Reisebüro auch nach der Wende die Treue gehalten haben.