Harz Harz: Gefährliche Strömungen
HEDERSLEBEN/MZ. - Oben herum hält eine Wolljacke warm. Das Problem ist die Zufahrt zur Mühle, in der sechs Familien wohnen - die steht an ihrer tiefsten Stelle 1,50 Meter unter Wasser. Nach einigen hundert Metern durch die braune Brühe kann Ute Gramm an diesem Morgen ihre Mitteldeutsche Zeitung bekommen. Die bringt eine Freundin zum Ufer, welche hin und wieder auch Lebensmittel dabei hat. Bis zur Wohnung von Ute Gramm kann die Hederslebenerin aber nicht kommen - ihr fehlt die richtige Kleidung.
Ute Gramm steht der Unmut förmlich im Gesicht. Sie wohnt seit etwa zweieinhalb Jahren an der Angermühle und hat noch nie solch ein Hochwasser am eigenen Leib miterlebt. "Das ist wahrlich eine Dimension." Doch sie ist nicht nur auf Mutter Natur zornig: "Hätten wir nicht die Feuerwehr alarmiert, hätte sich niemand um uns gekümmert. Die Wehr brachte dann aber schnell Säcke und Sand, die wir abgefüllt und vor die Türen gelegt haben. Man ist mit den Nerven am Ende." Außerdem klagt die Frau, dass die Anwohner, und vor allem die Kinder, für ihre Schulbesuche nicht wie von der freiwilligen Feuerwehr versprochen mit Traktoren oder Lkw aus dem Gebiet herausgefahren wurden. "Deshalb haben einige Eltern ihre Kinder von der Schule abgemeldet, und ich konnte am Morgen auch nicht zur Arbeit. Man muss aufpassen, da es Gefahr durch Strömungen gibt." Einige hätten ihre Kinder zu Verwandten im Ort gebracht, die an einer höher gelegenen Stelle wohnen. Die Anwohnerin kann auch nicht verstehen, dass die Gemeinde keine Holzbrücke zur Verfügung stellt, diese könne doch regelmäßig zur Hochwasserzeit eingesetzt werden und sei kein verschwendetes Geld. Vor allem seien ältere Anwohner der Angermühle darauf angewiesen. Insgesamt leben hier sechs Familien mit fünf Kindern, darunter einem Kleinkind.
Zum Glück gibt es in dem betroffenen Gebiet weiterhin Strom, die Heizung funktioniert. Die Männer und Frauen wechseln sich Tag und Nacht ab, um zu sehen, ob die Pumpe der Freiwilligen Feuerwehr Hedersleben im Heizungsraum weiterhin ihren Dienst tut. "Jetzt gibt es keine richtige Nachtruhe mehr." Gramms wohnen in der dritten Etage. Bis dorthin dringt das Wasser zwar nicht, doch durch die aufsteigende Feuchtigkeit kann sich leicht Schimmel bilden. "Unangenehm im Treppenhaus riecht es jetzt schon", so die Betroffene, und ihrer Meinung nach können die Sandsäcke keine Wunder vollbringen, da das Wasser auch aus dem Boden sickert und das Mauerwerk der Keller durchdringt. Da diese Gegend zwischen Bode und Selke als Hochwassergebiet ausgewiesen sei, würden die Versicherungen hier für Schäden sowieso nicht aufkommen.
Am nächsten Freitag wird Ute Gramm 53 Jahre alt. Ihre Geburtstagsfeier könnte im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser fallen, vermutet sie. Auch Henrik Lindner, der im ersten Obergeschoss wohnt, konnte Montagmorgen nicht an seinem Arbeitsplatz erscheinen: "Die Feuerwehr hat uns gesagt, weil die Mitglieder alle zur Arbeit sind, gibt es für die Lkw und Traktoren keinen Fahrdienst." Mittlerweile hat sich Lindner ebenfalls eine Wathose übergezogen, um Lebensmittel zu kaufen - doch nicht nur für sich, sondern auch für ältere Anwohner, die ihre Wohnungen derzeit nicht verlassen können. Sein Pferd hat der Mann bereits bei Bekannten, die nicht mit der Flut zu kämpfen haben, in Sicherheit gebracht.
Hederslebens Bürgermeisterin Kornelia Bodenstein sagte am Montag der MZ auf Nachfrage, dass sie beim Gemeinderat vorschlagen könne, für die Betroffenen im Hochwassergebiet Stege zu kaufen. "Das wird aber keinen Erfolg haben, da unser Haushalt nicht ausgeglichen ist und dafür kein Geld da ist," befürchtet sie.