Harz Harz: Aus zerstörerischem Schlaf gerissen
BLANKENBURG/MZ. - "Mensch, in den Zimmer habe ich mal gewohnt", stellt Kathrin Leßner bei der Führung durch das Große Schloss fest. Das ist genau 20 Jahre her und so desolat wie heute sah es damals nicht aus. Die Frau aus Regis-Breitingen macht gerade in Wernigerode Urlaub und wollte sich die vom Verein Rettung Schloss Blankenburg organisierte Baustellenbesichtigung nicht entgehen lassen.
"1991 sind wir hier eximmatrikuliert worden", erinnert sie sich an die Wendezeit an der Fachschule für Binnenhandel. Der Vorsitzende des Fördervereins Falk Götzel erzählt, dass im vergangenen Jahr zum Jubiläum der Fachschule ein besonderer Katalog herausgekommen sei. Die Sammlung zeigt die durch den jahrelangen Leerstand des Schlosses erhalten gebliebenen Wandbekleidungen der Unterrichts- und Internatsräume der Fachschule für Binnenhandel. Sie spiegeln den Zeitgeschmack wider. Fast jedes Zimmer hatte eine andere Tapete. Die große Variation an Farben und Mustern reicht von dezenten Motiven und grell bunten Blumen bis zu floralen Phantasiemustern und linienbetonten Figuren. "Für die Absolventen hatte das einen großen Wiedererkennungswert", schmunzelt der Vereinschef. "Wer weiß, wie oft sie auf die Wände gestarrt haben."
Architektin Anne-Katrin Reinboth und Bauleiter Sven Ungethüm lotsten die Besucher fachkundig durch die Gänge des Schlosses über Stolperfallen, durch staubige Gänge und den Theatersaal, der sich in der letzten Sanierungsphase befindet und in dem immer wieder Wiederaufbaukonzerte stattfinden. Schließlich muss zu den Fördermitteln ein Eigenanteil geleistet werden. Nele Herkt vom Förderverein beziffert die von ihm herangeschafften Mittel, die teilweise aus dem Konjunkturpaket II stammen, auf fast 3,5 Millionen Euro. Sie kommen von Bund, Land Sachsen-Anhalt, Landkreis Harz, von Lotto-Toto und der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz.
Die Teilnehmer an den Führungen spüren, engagierte Menschen haben das Schloss aus dem zerstörerischen Schlaf gerissen. Das Engagement der Vereinsmitglieder und viele Handwerker haben geholfen, den historisch längsten Schloss-Leerstand zu beenden. Aus zwei handvoll Mitgliedern aus der Startphase wurden bis heute rund 200, die nicht nur in Blankenburg, sondern zwischen Hamburg und Innsbruck leben. "Wenn ich das erlebe, wird mir sehr warm ums Herz", erklärt Gabriele Zimmereimer, die einmal im Monat Gäste durch das Schloss und in dessen Geschichte führt. "Was war das für ein Unkraut 2005 hier im Hof, und der Abfall erst. Welch ein Unterschied zu heute!"
Anne-Katrin Reinboth erläutert, dass das Förderziel nicht sei, "das Schloss schick zu machen". Es werde restauratorisch nicht voll aufgearbeitet. Nach den Worten von Sven Ungethüm gehe es um "Dach, Fassade und eine Grundbeheizung." Mancher Besucher werde irritiert sein, dass keine Tapeten an die Wände kommen. Auch hätten die Befunde der Restauratoren keine Hinweise auf eine ursprüngliche Bemalung gegeben. "Es wurden teilweise sieben bis neun Schichten Farben heruntergelöst. Die Wände waren in der Barockfassung hell und schlicht gehalten, auch um die Ausstattung mit den vielen Bildern und Rüstungen wirken zu lassen." Jedoch habe jede Generation ihren Geschmack baulich verewigt, fügt Sven Ungethüm hinzu. Von 1705 bis 1718 ließ Herzog Ludwig Rudolph von Braunschweig-Wolfenbüttel das Renaissanceschloss der Grafen zu einer barocken Residenz von seinem Landbaumeister Herrmann Korb umbauen. 1831 wurde der ursprüngliche Redouten-Saal zu einem Theater umgestaltet. Aber auch aus der Zeit um 1914 gibt es genaue Erkenntnisse über die Gestaltung der Schlossflügel. "Immer prägte der Zeitgeschmack die Gestaltung", erklärt Architektin Anne-Katrin Reinboth.
Dass das Große Schloss 15 Jahre leer stand, habe den "Echten Hausschwamm" gefreut. "Wir haben ihn in jeder Nische gefunden", erinnert sich der Bauleiter. "Im Rittersaal hatte der Schwamm die Größe eines Baumpilzes." Ursachen waren die undicht werdenden Dächer und Fenster, fehlende Wartung nach der Wende und defekte Regenrinnen. So seien im Nordflügel 80 Prozent der Balkenköpfe mit Schwamm befallen gewesen, ergänzt Falk Götzel.
Am vielen Ecken seien die Sanierungsarbeiten abgeschlossen, stellt Sven Ungethüm fest. "Es sieht vielleicht nicht immer schöner aus, es ist aber ohne Schäden." Anne-Katrin Reinboth nennt es "mit Notlösungen leben". Es sei nicht eben sehr ästhetisch, aber bis Geld da sei, könne man mit Plastikleuchten an den historisch richtigen Wandstellen leben und an der Decke mit soliden DDR-Zylinderleuchtern, deren Proportionen wenigstens stimmen. Es gibt zudem Signale, dass Kronleuchter aus dem Depot des Klosters Michaelstein als Dauerleihgaben ins größte noch erhaltene Welfenschloss mit seiner 900-jährigen Historie umziehen könnte. Im Gobellinzimmer sicherten die Restauratoren die Schablonenmalereien, im Graue Saal, in dem einst italienische Stuckateure wirkten und der ein kleines Abbild des Kaisersaales ist, fanden ab 2006 die ersten Veranstaltungen statt. Die Textilbespannung der Wände ist in der Hallenser Moritzburg eingelagert. Neben Porträtbildern und einem Braunschweiger Löwen sei das "bewegliches Kulturgut", das ans Welfenhaus geht. 2014 werde auch die Zeit für den Opferstock und den Taufstein abgelaufen sein, die dann wohl nicht mehr in Blankenburg gezeigt werden.
Fördervereinsvorsitzender Falk Götzel freut sich trotzdem über die Sanierungsfortschritte, wohl wissend, dass für die erste Grundsanierung vom Dach bis in den Keller etwa 15 Millionen nötig sein werden. "Den Rest muss dann der Nutzer nach seinen Vorstellungen umsetzen."