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Halberstadt Halberstadt: Romane behandeln Historie der Region

Von Rita Kunze 29.01.2014, 14:56

Halberstadt/MZ - Ein finanziell ruinierter Bauer erschießt aus lauter Liebe seine Frau: Sie kann den Gedanken nicht ertragen, nach der Zwangsvollstreckung in Armut leben zu müssen, und will sich das Leben nehmen. Mit einem Selbstmord aber wäre es um ihr Seelenheil geschehen, und so beschließt der Mann, ihr das Töten abzunehmen. Sein eigenes Schicksal ist ihm egal. Mit diesem und anderen, insgesamt 50 Berichten, die er in einem Druckwerk versammelte, landete August Gottlieb Meißner (1753-1807) Ende des 18. Jahrhunderts einen Bestseller. Zugleich begründete er damit ein völlig neues Genre in der deutschsprachigen Literatur: den Kriminalroman.

Popularität zu Zeiten der Aufklärung

„Diese Kriminalgeschichten waren ungeheuer populär, es gab Raubdrucke ohne Ende“, sagt Gleimhaus-Direktorin Ute Pott über das Werk, das schon bald ins Französische, Englische und Russische übersetzt wurde. Dass Meißners Geschichten so gern gelesen wurden, liegt an seiner Zeit, der Aufklärung: „Es war der Versuch, den Menschen durch seine Erlebnisse zu erklären“, sagt Ute Pott bei einem „Literaturgespräch bei Gleim“, in dem es um Kriminalgeschichten aus dem und über das 18. Jahrhundert geht.

„Erfunden von mir selbst ist keine einzige dieser Geschichten; in keiner einzigen habe ich auch nur einen Hauptumstand abgeändert“, schreibt Meißner 1795 in einem Vorwort. 200 Jahre später gehen Autoren ganz anders an die Sache heran; der Literaturwissenschaftler Tom Wolf und die Autorin Petra Oelker beispielsweise verweben historische Tatsachen und Fiktion. Sie seien dabei „recht geschickt in ihren Formulierungen“, sagt Ute Pott, und beim Lesen habe man „ein bisschen das Gefühl, man wird zum Experten für das Alltagsleben im 18. Jahrhundert“.

Wolf begibt sich mit seinen Preußen-Krimis an den Hof Friedrichs II., wo Honoré Langustier, ein Koch aus dem Elsass, kriminalistische Energie entwickelt. Oelker schickt eine Schauspielerin namens Rosina in Miss-Marple-Manier auf Verbrechersuche in Hamburg.

Fiktive und reale Figuren

Neben der spannenden Unterhaltung, so die Gleimhaus-Direktorin, böten die Romane viel Wissenswertes über die Zeit, in der ihre Handlung angesiedelt ist: „Wir treffen lauter Bekannte“, sagt sie über Wolfs Bücher, in denen den fiktiven Romanhelden auch wahre Zeitgenossen zur Seite gestellt sind, darunter der berühmte Büchersammler Charles Etienne Jordan (1700-1745), dessen Exlibris auch schon in einer Ausstellung im Gleimhaus zu sehen waren, und die Dichterin Anna Louisa Karsch (1722-1791), an die im Halberstädter Literaturmuseum bereits im Foyer mit einer Skulptur erinnert wird. „Wer wissen will, wie die Mode um 1770 war, der sollte Wolfs Roman ’Kreideweiß’ lesen“, rät Ute Pott, und wem an authentischer Küche gelegen ist, dem könne mit „Kochen nach Langustier“ geholfen werden; das Werk versammle unter dem Namen des - fiktiven - Hofkochs Rezepte aus dem 18. Jahrhundert.

Bei Oelkers Geschichten „freut sich die Germanistin, die mit dem 18. Jahrhundert zu tun hat“, sagt die Gleimhaus-Direktorin. Denn da geht es um Theaterliteratur und Wanderschauspieler, um die Debatte, was auf den Bühnen gespielt werden darf und wie verstanden oder unverstanden sich die Autoren gefühlt haben. Rosinas historisches Vorbild ist Friederike Caroline Neuber (1697-1760), die auch am Blankenburger Hof auftrat.

Damals wie heute

„Es gibt Passagen über Brandschutz, da müssen sie ein Theater schließen, weil es nicht brandsicher ist - das ist wie heute“, sagt Ute Pott über Oelkers Romane. Zum Teil lieferten sie auch Beschreibungen über Pflanzen, die es heute nicht mehr gibt. Ihr Fazit: „Wenn man keine Fachliteratur zum 18. Jahrhundert lesen, aber einen Einblick in diese Zeit bekommen will, dann sollte man die Bücher dieser beiden Autoren lesen.“