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Halberstadt Halberstadt: Lehren aus der Leere ziehen

Von GÜNTER KOWA 22.06.2010, 17:54

HALBERSTADT/MZ. - Der Reklamegag mitsamt gewollt fehlerhafter Orthografie repräsentiert die selbstironische Seite des Halberstädter Beitrags zur IBA. Dabei ist der denkbar kopflastig. Halberstadt hat das IBA-Kernthema "Leerstand" aufs Grundsätzliche reduziert und als einzige von allen 19 Städten in den Titel genommen. Im Ur-Konzept wollte die zentrale Ausstellung nicht zum "Entdecken" einladen, sondern über "Ästhetik der Leere" dozieren - aus Blickwinkeln von Kunst, Architektur, Film und Literatur sowie "Philosophie, Religion und Lebenswelt".

Das stillgelegte Stadtbad gibt der Schau einen sinnbildhaften Ort. Eine Videoleinwand am leeren Becken setzt Bilder und Klänge in Beziehung. Kurator Martin Peschken, Kulturwissenschaftler an der Technischen Universität Braunschweig, hat den theoretischen Überbau verkleinert, übt mit dem Besucher trotzdem Bewusstseinsschulung. Gemeinsam mit dem Berliner "Szenograf", wie der Architekt Detlef Weitz seine Profession selbst nennt, führt er ihn auf stadtplanerische Erkenntniswege.

Weitz gehört in Aschersleben zum "Kreativteam" (IBA-Jargon), das Abrisslücken mit seiner Art von Szenografie bespielt, darunter der "Drive Thru Gallery". Die Halberstädter Aktionen kommen mit weniger subventioniertem Aufwand aus. Fernrohrartige "Sehhilfen" führen auf den "Trainingspfad des Sehens". Bei Klang-, Film- und Vorlesepicknicks war das örtliche Theaterensemble an der "Kultivierung der Leere" von Brachen und am Domplatz beteiligt. "Es war mutig von der Stadt, das Thema aufzugreifen", sagt Weitz.

Vielleicht aus der Einsicht, dass Leerstellen in Halberstadt ihre besondere Tragik haben. Vor dem Krieg war die Stadt ein Bilderbuch des Mittelalters, nicht nur in seinem Gewirr aus Fachwerkhäusern im Schatten der Türme von Dom und Martinikirche, sondern auch durch sein bedeutendes jüdisches Viertel. Dokumente, Modelle und Videos entfalten im städtischen Museum das ganze Ausmaß der Zerstörung, die nach 1945 in erschütternder Weise weiterging. Von 1 605 Fachwerkhäusern fielen 929 dem Weltkriegsbombardement, aber weitere 482 den Flächenabrissen zu DDR-Zeiten zum Opfer. Eine "anhaltende Traumatisierung" habe er in Gesprächen mit Bürgern erlebt, sagt Weitz. "Ältere Leute wissen genau, wo die zerstörten Häuser standen." An drei Orten soll Leere in räumliche Qualität umgemünzt werden: Am Domhang, wo viele Besucher ankommen, am Abtshof, wo eine Wohnanlage entsteht, und im Stadtbad, das einen neuen Zweck sucht.

In der Konfrontation mit den Mühen der Ebene muss sich erweisen, was Bewusstseinswandel bewirken kann. Kommunalpolitisch manövrierten die IBA-Projekte in schwerem Fahrwasser.

Seit 2003 hat die Stadt keinen genehmigten Finanzhaushalt mehr. Nur die davor angeschobenen Projekte konnten auf den Weg gebracht werden. Das Stadtbad bekam ein neues Dach und scheint vorläufig gerettet, nicht mehr zum Badevergnügen, aber doch als potenzieller Veranstaltungsort. Aber vielleicht bleibt auch nur die stadtbildprägende neugotische Fassade stehen. Dass dahinter alles ausgekernt und vielleicht Büroraum eingerichtet wird, will Planungschef Jens Klaus nicht ausschließen.

Am Stadtbad sieht er die Zukunft noch offen, am Abtshof kann er nach all den IBA-Erkenntnisaktionen dagegen wenig Überraschendes vorzeigen. Am Rand des Quartiers, das zu DDR-Zeiten abgerissen wurde, haben einzelne Bauherren Pseudo-Fachwerk aufleben lassen. Die größere Fläche füllt aber ein Investor mit konventionellen Mehrfamilien-Reihenhäusern. Die Stadt scheint keinen Einfluss geltend zu machen, und lässt offenbar Möglichkeiten ungenutzt, die ihr die eigenen Flächen bieten könnten.

Am Domhügel regte sich offener Widerstand gegen die Ergebnisse von IBA-Workshops. Der Landschaftsarchitekt Axel Lohrer hatte eine Art flacher Freitreppe für den freieren Blick auf den Dom vorgeschlagen, als Entree für Touristen. Jedoch stellt sich das Landesdenkmalamt quer, und viele Bürger stört jegliche Veränderung der Situation, obwohl die vierspurige Straßenschneise und der beiläufig begrünte Hügel lediglich die besinnungslose Verkehrsplanung der DDR bezeugt. Rasen deckt jetzt den Hang, oben gibt es einen Vorplatz, aber die einladende Geste ist nicht zustande gekommen.

Jens Klaus hält fest, dass der Plan nicht beerdigt ist, aber Enttäuschung ist ihm anzumerken. Vordenker Peschken glaubt, dass der Prozess, im Gewahrwerden von Leere neue Räume zu erschließen, in kleineren Projekten weitergeht. Studentische Projekte haben einen kleinen Park mit Pflanzen des Alten Testaments in der Judenstraße hervorgebracht, oder - als Vorschlag - ein Autokino am ehemaligen Busbahnhof.

Die Lösung für die Leerstellen im Stadtgefüge, so liest man in der Ausstellung, liegt in der simplen Frage: "Kann es gelingen, sie in Orte zu verwandeln, an denen wir uns gerne aufhalten?"

Ausstellung im Stadtbad, Bödcherstraße 2, bis 10. Oktober, Mi-So 14-18 geöffnet. IBA-Führungen freitags 14 Uhr ab Halberstadt-Information.