GutsMuths-Gymnasium GutsMuths-Gymnasium Quedlinburg: Was ist schon normal?

Quedlinburg - „Sprechen lernen kann man nur, wenn man zuhört. Viel zuhört. Gut zuhört.“ Ein wichtiger Satz im Theaterstück „Patricks Trick“, das derzeit auf dem Spielplan des Nordharzer Städtebundtheaters steht und dem sich die Schüler der Klasse 11/1 des Quedlinburger GutsMuths-Gymnasiums auf eigene Weise genähert haben.
Als so genannte Premierenklasse des Städtebundtheaters haben sie parallel zur professionellen Inszenierung eigene Szenen entwickelt und in der Aula am Konvent aufgeführt.
Dafür bekamen sie nicht nur von ihren Mitschülern viel Applaus, sondern auch von den Theaterprofis, die sie einige Wochen lang begleiteten und nun als Zuschauer im Publikum saßen.
Miteinander reden, zuhören - das ist etwas, das die Jugendlichen in ihrem Alltag nicht immer als selbstverständlich erleben. „Es wird nicht wirklich zugehört, man lebt aneinander vorbei“, sagt Hannah Wallert. „Vieles ist oberflächlich“, fügt Isabel Domine hinzu.
Patrick will Lösungen finden
„Sprechen lernt man, indem man zuhört“, sagt im Theaterstück ein kroatischer Boxtrainer zu Patrick, der einen Bruder bekommt, der vielleicht nie sprechen können wird, weil er mit einem Down-Syndrom zur Welt kommt.
Patrick will ihm aber helfen, sprechen zu lernen, und macht sich auf den Weg, um Lösungen zu finden. Der Boxtrainer ist eine Station, das Treffen mit einer behinderten Gemüsefrau eine andere.
Schattenspiel gefällt Publikum
Diese Szene - von drei Jungs als Schattenspiel gestaltet - hat dem Publikum besonders gefallen: „Wie ist das Leben mit einer Behinderung?“, will Patrick wissen. „Ganz normal“, entgegnet die Händlerin, die sich nicht unterkriegen lässt.
Das findet sich auch im Schlusschor wieder, in dem die Schüler aufzählen, was alles normal ist. Dazu gehört ihrer Meinung nach eben auch, dass es Menschen mit Behinderungen gibt.
Eine Talkshow zum Thema Abtreibung
Selbstverständlich ist diese Ansicht nicht, das verdeutlichen die Jugendlichen mit einer inszenierten Talkshow, in der sich vermeintliche Experten darüber auslassen, warum Babys abgetrieben werden sollten, bei denen Trisomie 21, das Down-Syndrom, diagnostiziert wird. Eine Kirchenvertreterin hält in der Szene dagegen.
Erfahrungen im Umgang mit Behinderungen haben die meisten Schüler nicht. „Ein paar hatten Kontakt durch Praktika“, sagt Isabel Domine, „im Unterricht hatten wir das Thema mehr aus medizinischer Sicht“, ergänzt Nils Puchalla.
Theaterspielen ist für ihn eine recht neue Erfahrung. „Im letzten Jahr haben wir kleine Szenen aus ‚Faust‘ aufgeführt, aber nicht in so großem Rahmen wie hier“, sagt er.
Den meisten Spaß habe es gemacht, herauszufinden, wie man sich in eine Rolle hinein versetzen könne. „Da waren manche ganz anders, als man sie kennt.“
Theaterpädagogin Anja Grasmeier ist begeistert
Auch Theaterpädagogin Anja Grasmeier ist begeistert: „Ich mache das Projekt ‚Premierenklasse‘ seit zwölf Jahren. Eine Klasse, die so selbstständig war wie diese, hatte ich dabei noch nie.“
Die Schüler hätten von sich aus Themen gesucht und überlegt, wie sie die umsetzen können. „Ich bin total gerührt, dass es da so viele Talente und Musiker gibt, das hat allem einen ganz anderen Rahmen gegeben“, sagt die Theaterpädagogin.
Auch die Deutschlehrerin ist gerührt: „Ich bin ganz beeindruckt und hoffe, dass sich das anfängliche Zögern gelegt hat“, sagt Jewa Weide zu ihren Schülern. „Dass ihr Seiten an euch entdeckt habt, die ihr nicht kanntet.“
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Schulklassen können in Zusammenarbeit mit dem Nordharzer Städtebundtheater ein Theaterstück vom Beginn bis zur Premiere begleiten. „Sie entwickeln dabei einen eigenen Zugang zum Stoff. Die Ergebnisse ihrer kreativen Auseinandersetzung werden je nach Absprache in der Schule präsentiert“, heißt es seitens des Theaters. Die 11/1 ist die fünfte Premierenklasse des GutsMuths-Gymnasiums. (mz)

