Glockenguss Geburtsstunde bei 1.150 Grad Celsius für die neue Glocke der Hakelkirche im Vorharz
In der Glockengießerei Rincker in Sinn entsteht das neue Geläut für Heteborn. Wie Patrona gegossen wurde.

Heteborn/Sinn/MZ - Rotglühend wie Lava fließt die Glockenspeise. Raucht und rauscht aus dem Ofen durch das sauber gemauerte Bett aus Backsteinen in die Form. Grüne Flammen schlagen aus den Windpfeifen, kritisch beäugt von den Gießern hinter den dicken Visieren ihrer Helme. So wird an diesem letzten Augusttag Patrona geboren. Den Namen Patrona, der so viel wie Behüterin oder Beschützerin bedeutet, soll die neue Glocke der evangelischen Kirche in Heteborn tragen. Gegossen wurde sie in der Glockengießerei Rincker im hessischen Sinn - rund 100 Kilometer von Frankfurt am Main entfernt.
Noch in der Dunkelheit haben die Gießer den Ofen angefeuert, haben Barren um Barren in das Mundloch gegeben - die sogenannte Glockenbronze. „Zuerst schmelzen wir die Bronze mit zwölf Prozent Zinnanteil“, erklärt Christian Rincker, einer der beiden Firmenchefs. „Erst relativ kurz vor dem Guss wird die Glockenspeise dann auf 21 bis 22 Prozent Zinn auflegiert.“ Die metallurgische Mischung aus Kupfer und Zinn soll so rein wie möglich sein, so der Glockengießer. Denn zum goldenen Klang braucht eine Kirchenglocke eine spezielle Legierung der Glockenbronze.
Als die Bronze die nötige Temperatur von 1.150 Grad Celsius erreicht hat, kann der Guss beginnen. Für einige Mitglieder der Kirchengemeinde, die zusammen mit Pfarrerin Susanne Entschel in einem kleinen Bus extra zum Glockenguss nach Sinn angereist sind, war es ein großer Moment. „Ich hatte richtige Gänsehaut“, erinnert sich Gertraud Hampe. Pfarrerin Susanne Entschel sprach währenddessen ein Gebet für das Gelingen der Glocke und für die Menschen, die dabei waren. Die neue Glocke soll ihre Vorgängerin ersetzen, die 1917 für Kriegszwecke eingeschmolzen wurde.
Auf das Sechzehntel angepasst
Ausgeführt wird der Guss nach einer jahrhundertealten Technik - dem Lehmschablonenverfahren. Dazu entwirft der Glockengießer zunächst einen Längsschnitt der späteren Glocke, die sogenannte Rippe. Die Rippe wird dazu auf das Sechzehntel eines Halbtons genau in den Gesamtklang des Geläuts angepasst. Insgesamt besteht die Gussform aus drei Teilen. Als Erstes wird der innere Kern aus Lehmschichten aufgebaut. Auf diesen Kern wird dann die Modellglocke - auch falsche Glocke genannt - aufgebracht, erklärt Rincker. Über die falsche Glocke wird zuletzt die äußere Form, der sogenannte Mantel, aus mehreren Lehmschichten aufgetragen. Der Glockenkern, die falsche Glocke und der Mantel sind jeweils durch flüssigen Rindertalg getrennt.
Friedenstaube und Apfelbaum
Die aufgesetzten Verzierungen aus Wachs entstanden nach den Zeichnungen von Jürgen Werner. Der ehemalige Kunstlehrer aus Heteborn hat die äußere Gestaltung der Glocke übernommen. Dafür bekam er Wachstafeln von der Firma Rincker geschickt, in die er seine Vorlagen „einritzte“. „Patrona“ - Beschützerin, soll sie heißen, so der 72-Jährige. Dass die Friedenstaube von Pablo Picasso auch auf einer Seite abgebildet ist, sei den Ereignissen der Gegenwart geschuldet, sagt Werner. „Eine Glocke ist auch immer Spiegel ihrer Zeit“, so der Schulleiter im Ruhestand. Auf der gegenüberliegenden Seite ist ein Apfelbaum in Form eines Kreuzes abgebildet. „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen“, soll Martin Luther einst gesagt haben. Für Jürgen Werner auch ein Lebenszeichen. In den Bäumen soll Luther die göttliche Gnade im irdischen Leben gesehen haben. Am Ende hat die Glocke einen Durchmesser von 567 Millimetern und wiegt genau 108 Kilogramm.
Stifter sind beim Guss dabei
Die kleine Besuchergruppe aus Heteborn hat die Reise zum Glockenguss nach Sinn genutzt und das Museum „Glockenwelt“ in der Rossmühle von Burg Greifenstein in der Nähe der Gießerei besucht. Die Sammlung von mehr als 100 Kirchenglocken ist maßgeblich von dem Familienunternehmen in Sinn zusammengetragen worden. „Im Museum haben wir uns mit der Stifterfamilie getroffen“, sagt Gertraud Hampe vom Gemeindekirchenrat. Bis die Glocke in der Hakelkirche in Heteborn erklingt, wird es noch einige Zeit dauern. Nach dem Guss muss sie noch eine Woche im Boden abkühlen. Dann werden die Formen ausgegraben und in den nächsten Tagen werde ein Glockensachverständiger aus Thale das Werk der Glockengießer auf seine musikalische Qualität prüfen, erklärt Hampe.

