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Enteignungen im Landkreis Harz Enteignungen im Landkreis Harz: Detektivarbeit im Amt

Von Detlef Horenburg 03.11.2014, 11:51
Auch im Falle der Roseburg bei Rieder wurde über eine Rückübertragung gestritten.
Auch im Falle der Roseburg bei Rieder wurde über eine Rückübertragung gestritten. chris wohlfeld Lizenz

Quedlinburg/Halberstadt - Enteignete Gebäude, Grundstücke, geraubte wertvolle Hausratsgegenstände während der NS-Zeit, der Besatzung zwischen 1945 und 1949 sowie zu DDR-Zeiten. Privates Vermögen wurde aus den unterschiedlichsten Gründen eingezogen. Während im westlichen Teil Deutschlands altes Unrecht weitgehend aufgearbeitet wurde, fing dies im Ostteil der Republik erst mit dem Fall der Mauer vor 25 Jahren an.

Insgesamt wurden in den Altkreisen Wernigerode, Quedlinburg und Halberstadt von September 1990 bis Mitte 1993 23 130 Anträge auf Wiedergutmachung für den erlittenen Schaden für 95 887 unterschiedliche Vermögenswerte - Gebäude, Grundstücke, Aktien oder Hausratsgegenstände - gestellt, weiß Susann Arnhold-Wind, Leiterin Fachbereich Landrat beim Landkreis Harz. 99,97 Prozent der Anträge im Bereich des Vermögensrechts und 87,2 Prozent im Entschädigungsbereich konnten bis Ende vergangenen Jahres bearbeitet werden.

Von den 95 887 angemeldeten Vermögenswerten im Landkreis Harz waren 84 990 Grundstücke oder Immobilien. Davon wurden rund 20 Prozent an die Alteigentümer oder Erben rückübertragen. Wer glaubt, er oder seine Verwandten wurden zu Unrecht enteignet, hatte die Möglichkeit, einen entsprechenden Antrag bis Ende 1992 für das enteignete Vermögen und bis Mitte 1993 für „bewegliche Gegenstände“ zu stellen (siehe Kasten). Grundlage bildete das Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen vom 23. September 1990. Danach gilt der Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung“.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie weiter mit den Anträgen umgegangen wird.

„Dort, wo keine Rückgabe mehr möglich war, weil beispielsweise auf dem Ackergrundstück inzwischen Bauten entstanden sind, bekam oder bekommt der Berechtigte im Anspruchsfall eine finanzielle Entschädigung“, sagte Marina Gatzemann, Fachdienstleiterin beim Amt für offene Vermögensfragen des Landkreises Harz. Grundlage bildete ein entsprechendes Gesetz aus dem Jahr 1994, das Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz. Etwa acht Prozent der vermögensrechtlichen Anträge fallen in den Entschädigungsbereich. Bisher wurden danach 6 697 Verfahren zu finanziellen Entschädigungen und Ausgleichsleistungen registriert. Allerdings: 18 Prozent der Anträge wurden aus den verschiedensten Gründen abgelehnt.

Fast 22 Jahre sind nach Abgabeschluss vergangen, warum werden immer noch Anträge bearbeitet?

Der Landkreis Harz hat die meisten Anträge im Land Sachsen-Anhalt zu bearbeiten. Dies liegt auch an der Grenznähe. So wurden hier viele Grundstücke zum Bau der Grenzanlagen enteignet. „Wochenlang trafen damals im Amt die Anträge wäschekörbeweise ein“, erinnert sich Marina Gatzemann. Diese Flut von Anträgen wurde zunächst gesichtet und registriert. In den Hoch-Zeiten waren etwa 90 Mitarbeiter im Amt zur Regelung offener Vermögensfragen aller drei ehemaligen Landkreise beschäftigt. Aktuell sind es zwölf, die jedoch auch mit anderen Aufgaben betraut sind.

Die Recherche, ob ein Anspruch auf Rückgabe oder Entschädigung berechtigt ist, sei sehr zeitaufwendig. So musste in den verschiedensten Archiven und Ämtern recherchiert werden, ob die Erben überhaupt anspruchsberechtigt sind. Eine Puzzlearbeit sei es auch, herauszufinden, wo sich ein Grundstück befindet - Flurstücksbezeichnungen haben sich in den Jahrzehnten geändert. „Manche Antragsteller hatten nur gesagt, dass ihr Verwandter in dem Ort XY ein Stück Land hatte, wussten allerdings nicht genau, wo“, verdeutlichte Marin Gatzemann die schon an akribische Detektivarbeit grenzende Antragsbearbeitung. Grundsätzlich musste und muss in alten Grundbüchern bis 1933 zurückgeblättert werden. Durch Flurneuordnungen wurden auch alte Grundstücke neu aufgeteilt und umbenannt. Dann gab es auch mehrere Anträge aus Erbengemeinschaften. Da musste zunächst geprüft werden, wer überhaupt erbberechtigt war. Waren die Erben auch noch im Ausland, so dauerte es mitunter Jahre, bis ein Erbschein vorlag. Auch muss geprüft werden, ob für das enteignete Vermögen bereits in den alten Bundesländern finanzielle Entschädigungen an die Eigentümer oder deren Erben gezahlt wurden, um letztendlich Doppelentschädigungen zu vermeiden. Außerdem durchlaufen alle Grundstückskaufverträge im Landkreis Harz das Amt hinsichtlich vermögensrechtlicher Ansprüche.

Ist irgendwann ein Ende bei der Antragsbearbeitung abzusehen?

Bei den Vermögensansprüchen wird das etwa Ende 2016 der Fall sein. Bei den Entschädigungen wird mit einem Abschluss der Ansprüche bis 2020 gerechnet.

Wird dann das Amt aufgelöst?

„Nein, es gibt nach wie vor noch weitere Aufgaben zu lösen“, sagte die Fachbereichsleiterin. So sind im Fachdienst Aufgaben der gesetzlichen Vertretung angesiedelt. Soll heißen: Wenn Eigentümer oder deren Aufenthalt unbekannt sind und das Grundstück beispielsweise bebaut werden soll, bestellt das Amt einen gesetzlichen Vertreter. So wird sichergestellt, dass das Grundstück genutzt werden kann und eventuelle Erben gefunden werden. Auch werden im Amt die Aufgaben aus dem Landpachtverkehrs- und Grundstücksverkehrsgesetz wahrgenommen. Landpachtverträge werden beispielsweise geprüft und registriert, Kaufverträge nach landwirtschaftlichen Gesichtspunkten unter Einbeziehung verschiedener Verbände geprüft und genehmigt. (mz)