Das aktuelle Interview Das aktuelle Interview : "Potenziale stimmen optimistisch"

Quedlinburg - „Mit einem blauen Auge davongekommen.“ So fasst Quedlinburgs Oberbürgermeister Frank Ruch (CDU) die Bilanz des Jahres 2020 für die Welterbestadt zusammen - Stand Ende Dezember, wie er betont. Über das vergangene Jahr sprach Petra Korn mit Frank Ruch.
Mit einem blauen Auge davongekommen?
Frank Ruch: Ja, weil wir einen guten Start und gute Zwischenphasen hatten. Diese mildern den Gesamtschaden, den Corona mit den zwei Lockdowns verursacht, in der Welterbestadt ab. Wir haben trotzdem herbe Verluste. Aber im Verhältnis zu anderen Kommunen sind wir, allein auf das Jahr 2020 bezogen, nach bisherigem Stand mit einem blauen Auge davongekommen. Auch wenn sich das blaue Auge zum Jahresende doch tiefviolett gefärbt hat.
Was meinen Sie mit „gute Zwischenphasen“?
Es gab durchaus Zeiten mit touristischen Steigerungen, die wir so nicht erwartet hatten, in denen Hotels ausgebucht, Gaststätten voll waren. Das hat geholfen, die wirtschaftlichen Verluste in der Tourismus- und Gastronomiebranche abzumildern. Was sich im Krisenjahr auch besonders ausgezahlt hat, ist die gute Kommunikation zwischen Stadtrat und Verwaltung, zwischen Stadtrat und Wirtschaft und zwischen Verwaltung und Wirtschaft. Und eine gute, vom Stadtrat mitgetragene Personalpolitik, die Früchte getragen hat. Ich denke da an das Citymanagement und auch die Stabsstelle Öffentlichkeitsarbeit/Moderne Medien, die beispielsweise während des Lockdowns light die Gewerbetreibenden wieder besonders unterstützt haben.
Also war 2020 doch ein Krisenjahr für die Stadt?
Es war ein Jahr, in dem wir Verluste, aber trotz Corona-Pandemie auch Erfolge hatten. Da sind die beachtlichen Fortschritte der Bauarbeiten auf dem Stiftsberg. Unser Projekt Freizeit-, Sport- und Erholungsareal geht voran, im sozialen Bereich haben wir beispielsweise mit der umfassenden Sanierung und Erweiterung der Kindertagesstätte „Süderstadt - Anne Frank“ und der digitalen Ausstattung der Grundschulen deutliche Erfolge erzielt. Erfolge gibt es auch mit dem Baustart am Bahnhof sowie bei der Sanierung des Kaiserhofes und des historischen Rathauses. Wir sind im Straßenbau vorangekommen; auch wenn wir in der Reichenstraße eigentlich schon in der Erde sein wollten. Aber der Spatenstich steht hier bevor, ebenso wie beim Kunstrasenprojekt des QSV. Und wir haben in der Krise nicht nur Fakten geschaffen, sondern auch Visionen wieder aufgenommen und in Umsetzung gebracht. So hat der Stadtrat einen Grundsatzbeschluss für ein Welterbeinformationszentrum gefasst, und wir haben die Stelle einer Kulturförderin ausgeschrieben.
Was waren aus Ihrer Sicht Höhepunkte im vergangenen Jahr?
Für mich persönlich war herausragend das Zustandekommen der Kooperationsvereinbarung für den Stiftsberg zwischen der Welterbestadt und der Evangelischen Kirchengemeinde Quedlinburg. Herausragend waren ebenso der Zusammenhalt unserer Bürgerschaft unter diesen schwierigen Bedingungen und der Zusammenhalt von Einzelhandel, Gastronomie, Wirtschaft, Stadtrat und Verwaltung. Und unsere Feststunde zu 30 Jahren Deutscher Einheit und Städteunion, aus der heraus wir als Welterbestadt jetzt jedes Jahr eine der Unionsstädte besuchen werden.
Sie sprachen aber auch von Verlusten? Wie hoch sind diese, und gab es einen Ausgleich?
Im Sommer hatten wir hochgerechnet alles in allem mit mehr als zwei Millionen Euro Verlust gerechnet. Erstattet bekommen haben wir rund 188.000 Euro für die während des ersten Lockdowns nicht erhobenen Elternbeiträge der Kita-Betreuung und rund 669.000 Euro Gewerbesteuerausfall. Wir schieben aktuell einen Verlust von etwa 1,5 Millionen Euro vor uns her, resultierend aus geringeren Einnahmen aus Anteilen an der Umsatzsteuer, Gebühren oder der Kurtaxe beispielsweise und erhöhten Ausgaben. Wobei der Gewerbesteuerausfall eine Schätzung vom Stand September zum Jahresende war, es also sein kann, dass hier durch den zweiten Lockdown noch Ausfälle hinzukommen. Mit Ausfällen rechnen wir auch bei den Anteilen an der Einkommenssteuer. Zu den negativen Nebeneffekten zählen aber ebenso höhere Baupreise.
Wie hat sich die Corona-Pandemie auf die Arbeit der Verwaltung und des Rates ausgewirkt?
Wir als Verwaltung sind moderner geworden. Die Pandemie hat uns zu digitalem Handeln gezwungen. Zu Bürgern, Touristen, Investoren und vielen Partnern ist digitaler Kontakt möglich. Aber - so empfinde ich das als eher kontaktfreudiger Mensch - der persönliche Kontakt leidet darunter. Ich denke, wir müssen aufpassen, dass wir die persönliche Nähe nicht verlieren. In der Ratsarbeit hat sich wenig verändert; sie läuft schon seit zehn Jahren digital. Ein Mangel aber ist, dass wir nicht mit allen gleichzeitig kommunizieren konnten, mal gemeinsam mit den Fraktions-, mal mit den Ausschussvorsitzenden beraten haben. Ein Chat ist ein gutes Zwischenarbeitsmittel, hat aber mit Sicherheit nicht die Diskussionsqualität wie eine Präsenzsitzung, die ich für Entscheidungen in wichtigen Angelegenheiten für unumgänglich halte. Für solche Sitzungen, die so lange wie möglich aufrecht erhalten und so schnell wie möglich wieder aufgenommen werden sollten, haben wir mit dem Palais Salfeldt auch die besten Voraussetzungen.
Quedlinburg ist auch bekannt für das kulturelle Angebot in der Stadt. Sehen Sie dieses coronabedingt in Gefahr?
Generell hat das Vereinsleben im Jahr 2020 nur bedingt stattgefunden und ist der soziale Zusammenhalt auf den Prüfstand gestellt worden. Aber vielleicht konnte in Quedlinburg durch die gute Zwischenphase, in der die Kultur auch noch einmal aufgelebt ist, und durch die Initiativen der Quedlinburg-Tourismus-Marketing GmbH, des Dachvereins Reichenstraße und des Nordharzer Städtebundtheaters einiges abgefangen werden. So ist die Wunde, die gerissen wurde, vielleicht nicht zu stark.
Wir haben aktuell kein massives Sterben von Vereinen, keine massive Aufgabe von Veranstaltungen verzeichnet. Alles - kulturell wie sportlich - wurde mit viel Optimismus in das Jahr 2021 verschoben, sei es das Fest des kleinen Gartenvereins oder unser neues Stadtfest. Doch ich befürchte, wenn sich die Einschränkungen weit in das Jahr 2021 hinein- oder durch das Jahr hindurchziehen werden, dann werden wir auch Verluste in der Kulturszene erleben.
Welche im Jahr 2020 getroffene Entscheidung würden Sie heute nicht mehr treffen?
Ich würde nicht wieder eine Gesundheitsreserve einrichten, also wie im Frühjahr eine Hälfte der Belegschaft nach Hause schicken, ohne in diesem Moment die Möglichkeit des Erteilens einer direkten Arbeitsaufgabe gehabt zu haben. Wobei ich aber nicht die Vorsorgemaßnahme für die Gesundheit in Frage stellen will.
Beim betrieblichen Gesundheitsmanagement machen wir ohnehin sehr viel. Und das in guter Zusammenarbeit mit dem Personalrat, mit dem wir auch das schon seit längerem, schon vor Corona gesteckte Ziel weiterverfolgen, Homeoffice anzubieten.
Für mich als Oberbürgermeister ist das ein wichtiges Instrument eines modernen Arbeitgebers. Wir werden das auf jeden Fall weiter forcieren.
Noch mal zurück zu den getroffenen Entscheidungen: Wie ist das mit dem Aussetzen des Wochenmarktes und dem Abbau von Bänken im öffentlichen Raum im Frühjahr 2020?
Ich trage das mit, aber mit mir hätte es diese Entscheidungen nicht gegeben. Ich habe an dieser Sitzung des Krisenstabes nicht teilgenommen.
Ist das Jahr 2020 für Quedlinburg trotz erneuten Lockdowns wegen der positiven Zwischenbilanz versöhnlich zu Ende gegangen? Wie ist die Stimmungslage in der Stadt?
Zufrieden kann man natürlich nicht sein; es ist schon traurig, wenn man in die Stadt guckt, die nun leer statt wie sonst voller Leben ist. Aber ich will nicht jammern. Was mich optimistisch stimmt, sind die Potenziale, die wir haben: die Fähigkeit, schnell von Null auf Hundert durchstarten zu können wegen unseres Bekanntheitsgrades, unseres Flairs und des Welterbes; unsere Entwicklungskraft, unsere ausgezeichnete Kommunikationskultur. Unser neues Einfamilienhausgebiet platzt aus allen Nähten, die Wohnungen in Brauns Quartier sind gefragt. Wir haben starke Unternehmen und arbeiten daran, neue Flächen für Erweiterungen und Neuansiedlungen anzubieten. Wir haben Investorenanfragen beispielsweise für Hotels.
Das alles macht mir Mut. Deshalb: Es ist zwar traurig, wie es im Moment aussieht, aber ich sehe optimistisch in die Zukunft für unsere Stadt. (mz)