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Band aus dem Harz spielt in Afghanistan  Band aus dem Harz spielt in Afghanistan : "Formlos" rocken im Wüstencamp

Von Ralf Böhme 21.08.2015, 04:59
Die Musiker inmitten ihrer indischen Fans von der Flughafen-Feuerwehr - dort gab „Formlos“ ein ungeplantes Zusatzkonzert.
Die Musiker inmitten ihrer indischen Fans von der Flughafen-Feuerwehr - dort gab „Formlos“ ein ungeplantes Zusatzkonzert. Privat Lizenz

Halberstadt - So viel wie in Afghanistan hat Michael Bleu, Sänger der Rockband „Formlos“ aus dem Harz, noch nie während eines Auftritts getrunken. Ohne reichlich Wasser, mindestens drei Liter an einem Abend, sei dort nach kurzer Zeit die Stimme weg - kein Wunder bei 44 Grad im Schatten. Gegen diese Hitze helfe nicht einmal die Songzeile von den Puhdys „Wir wollen die Eisbären sehn...“.

Organisation durch die Bundeswehr

Flug und Aufenthalt organisierte kein Reisebüro, sondern die Bundeswehr. Damit nahm das Einsatzführungskommando in Potsdam ein Angebot der Musiker an. Oberstleutnant Thomas Kolatzki: „So ein Auftritt bei der Truppe im Einsatz ist eine willkommene Abwechslung, sie stärkt die Motivation der Soldaten.“ Eine Gage gab es nicht, aber Transport, Kost und Unterkunft übernahmen die Gastgeber. Das Ziel „Camp Marmal“ lag rund 6 000 Kilometer entfernt. Es ist das letzte verbliebene Feldlager der Deutschen am Hindukusch.

Hinter den Bandmitgliedern, da sind sie sich einig, liegt ein großes Abenteuer. Und das begann bereits mit der Anreise. Das Flugzeug der Bundeswehr, das sie gemeinsam mit Soldaten und Gerätschaften an den Hindukusch brachte, landete abgedunkelt. Der Grund: drohender Beschuss durch afghanische Freischärler.

Hitze und Staub

Der Landeplatz, erzählt Bleu, liegt inmitten des Feldlagers, in der Nähe der Stadt Masar-e Scharif, nur zwölf Kilometer vom Fuße des Hochgebirges entfernt. Sein erster Eindruck: Hitze und Staub, auch nachts sinken im Sommer die Temperaturen kaum unter 30 Grad. „Und irgendwie ist immer ein Sandkorn zwischen den Zähnen.“

Die Begrüßung durch die Bundeswehr-Betreuer hatte es in sich. „Willkommen im Krieg“ hieß es da. „So räumt man mit trügerischen Illusionen auf“, sagt der 21-jährige Bleu jetzt mit einigem Abstand. Vor drei Wochen habe er schlucken müssen, als er das hörte.

„Abends nach dem Zapfenstreich brach die Geschäftigkeit plötzlich ab, herrschte eine seltsame Ruhe“, erinnert sich Schlagzeuger Martin Juppe. Man habe aber gut schlafen können - der Wohncontainer war klimatisiert. Das Brummen der Stromerzeuger störte nicht. Die Dieselaggregate, die den Strom lieferten, standen weit weg. Soldatenstandard auch für zivile Gäste: Doppelstockbetten, zwei Stühle, ein Schrank auf 2,50 mal 3 Meter.

Auf der nächsten Seite lesen Sie mehr über den Aufenthalt der Musiker im Camp und ihre ungeplant späte Rückreise.

Ausgestattet mit dem Sonderausweis „No Escort“ duften die Musiker sich weitgehend selbstständig im Camp bewegen. Unterwegs wurden sie immer wieder angesprochen, auch von Soldaten anderer Nationen. Ihre Erfahrung: Schul-Englisch hilft. Zum Beispiel bei der Flughafen-Feuerwehr.

Deren Angehörige sind Inder. Der Job verlangt von ihnen, dass sie die Piste quasi nie verlassen dürfen. „Wenn die Zuschauer nicht zu uns kommen, kommen wir zu ihnen,“ sagt Bleu. Dafür wurden die Musiker auf Händen getragen und bewirtet. Häppchen nach Landessitte, vieles höllisch Scharfes. Ganz anders die Kantine des Camps. Da werde nach genauen Vorgaben gekocht. Bleu: „Alles sehr ausgewogen, abwechslungsreich, aber eben europäisch, nichts Überraschendes.“

1.830 Bundeswehrsoldaten beteiligen sich gegenwärtig an Einsätzen im Ausland. Dabei operieren sie gemeinsam mit Soldaten der Bündnispartner. Das größte Kontingent versieht mit 802 Angehörigen, darunter 82 Frauen, den Dienst in Afghanistan. Im Kern dient der Einsatz seit 2015 der Beratung und Ausbildung der Sicherheitskräfte des Landes. Zuvor hatte es seit 2002 einen 13 Jahre währenden Kampfeinsatz einer internationalen Allianz gegen den Terror gegeben, während dem 55 deutsche Soldaten starben. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) besuchte die Mission mehrfach.

Seit deutsche Soldaten in Krisengebieten stationiert sind, folgen ihnen Künstler auf Unterhaltungsmission. In die Reihe der Protagonisten gehören Peter Maffey, Xavier Naidoo und die „Söhne Mannheims“. Meist jedoch werden weniger bekannte Bands eingeflogen. Auftritte in Camp Marmal finden etwa alle zwei Monate statt. Das Angebot ist laut Bundeswehr breit gefächert.

"Formlos"-Konzert ist Höhepunkt

Der Höhepunkt des Aufenthaltes: das große „Formlos“-Konzert. Es fand auf dem zentralen Veranstaltungsplatz statt - im „Atrium“. Nahezu 400 Soldaten versammelten sich. Alle waren bewaffnet. Ganz anders die Musiker, von denen keiner eine militärische Ausbildung besitzt. Wer wollte, konnte Bier trinken - maximal zwei Gläser. Mehr stand niemandem zu. Wasser in Flaschen hingegen gab es kostenlos an jeder Ecke.

Anfangs ging es gar nicht um die Musik. Die Soldaten, darunter auch einige wenige Frauen, wollten einfach den Musikern die Hände schütteln, mit ihnen ins Gespräch kommen. „Mal was anderes erleben“, so das Motto des Abends. Als die ersten Akkorde erklangen, sprang schnell der Funke über - ein dankbares Publikum. Stücke von AC/DC und Rammstein sowie eine Menge eigener Werke sicherten reichlich Applaus.

Musiker bleiben immer im Camp

Während ihres Aufenthaltes blieben die Musiker immer im Camp. Aber auch dort erlebten sie eine Menge. So besuchten sie eine Werkstatt, in der gepanzerte Fahrzeuge repariert werden. Auch dort gaben die „Formlos“-Jungen spontan ein Konzert. Außerdem erlebten sie eine Instruktionsstunde auf einem Ausbildungsplatz. „Das war aufregend“, sagt Gitarrist Jonas Schlieter. Unter anderem sahen sie, wie ein Sprengsatz entschärft wurde. Und sie erfuhren, wie man sich verhält, wenn ein Hinterhalt droht. Glücklicherweise blieb alles ruhig. Das rundum verbarrikadierte Containerdorf war keinem Beschuss ausgesetzt. Es hätte auch anders kommen können, wie zuletzt im April. Da explodierte eine Rakete ganz in der Nähe.

Band macht sich nützlich

Vor der Heimkehr eine Überraschung: Das Flugzeug, das die Band zurückbringen sollte, fiel aus - technische Gründe, hieß es. Das nächste Flugzeug, dann aber ein Militärjet der Amerikaner, startete erst eine Woche später. Die Bundeswehr übernahm es, die Arbeitgeber der Bandmitglieder über die „bedauerliche Verspätung“ zu informieren. Derweil versuchte sich die Band nützlich zu machen. So spielten die Musiker in diversen Fußball-Teams mit. Außerdem gaben sie noch ein weiteres Konzert.

Wieder daheim in Thale, Wernigerode, Harsleben und anderen Harzorten haben die Musiker viel zu erzählen. Verwandte, Freunde, Fans sind neugierig. Kein Wunder, sind die Musiker von „Formlos“ doch die ersten Rocker aus Sachsen-Anhalt, die in der afghanischen Bergwüste gastierten. (mz)

Ohne Sonnenbrille geht in der Wüste gar nichts. Hier sind die Bandmitglieder unterwegs zu einem ihrer Auftritte vor deutschen Soldaten.
Ohne Sonnenbrille geht in der Wüste gar nichts. Hier sind die Bandmitglieder unterwegs zu einem ihrer Auftritte vor deutschen Soldaten.
Privat Lizenz