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1.400 Euro für Platz im Pflegeheim Awo-Pflegeheim am Kleers in Quedlinburg: Bewohnerbeirat klagt über steigende Kosten trotz der Pflegestärkungsgesetze

Von Rita Kunze 07.02.2019, 06:56
Schwester Marina Behrens kümmert sich um die Bewohner des Awo-Pflegeheims am Kleers in Quedlinburg.
Schwester Marina Behrens kümmert sich um die Bewohner des Awo-Pflegeheims am Kleers in Quedlinburg. Marco Junghans

Quedlinburg - Das im November vom Bundestag beschlossene Pflege-Sofortprogramm soll die Situation von Pflegepersonal und Pflegebedürftigen verbessern. Doch wie wird das von den Betroffenen aufgenommen? Bewohner eines Quedlinburger Pflegeheims bleiben skeptisch.

Vor kurzem haben sie erfahren, dass sie durch eine Entgeltanpassung künftig rund 100 Euro mehr im Monat für ihre Betreuung und Pflege zahlen müssen. Es ist nicht das erste Mal; Ursache der jährlich steigenden Eigenkostenanteile bei der stationären Pflege ist nach Ansicht des Bewohnerbeirats die Pflegereform in ihrer Umsetzung durch die drei Pflegestärkungsgesetze der vergangenen Jahre. Bereits 2018 gab es eine Entgelterhöhung um 200 Euro.

90 Awo-Mitarbeiter kümmern sich um 135 Bewohner

Der Bewohnerbeirat sieht sich als Sprachrohr für die etwa 135 Bewohner, die im Pflegeheim der Arbeiterwohlfahrt am Kleers in Quedlinburg leben und die in unterschiedlichem Maß betreut werden müssen. Um sie kümmern sich 90 Mitarbeiter im Drei-Schicht-Betrieb, 15 Mitarbeiter sind ausschließlich für die Betreuung und Beschäftigung eingestellt. Das Haus hat außerdem eine eigene Küche.

Inzwischen zahlen Bewohner im Durchschnitt etwa 1.400 Euro im Monat aus eigener Tasche. Da ist aber noch kein Cent „Taschengeld“ dabei, von dem Friseurbesuche, Kleidung oder Hygieneartikel bezahlt werden könnten, sagt Beiratsmitglied Mathias Strutz, dessen Mutter im Heim lebt.

„Um es klarzustellen: Pflege kostet, und wir wollen auch nicht gegen die Erhöhung klagen. Wir haben kein Problem damit, wenn Pflegekräfte auch richtigen Lohn erhalten, sonst will ja keiner mehr in die Pflege gehen“, sagt er. Die Awo habe einen Tarifvertrag mit „vernünftigen Gehältern“.

Beirat klagt: Pflege finde in Öffentlichkeit zu wenig Resonanz

Was ihn und die anderen Beiratsmitglieder umtreibt: Das Thema Pflege finde in der breiten Öffentlichkeit zu wenig Resonanz. „Stationäre Pflege ist die letzte Phase, die trifft eigentlich jeden“, sagt Strutz. Er sieht diese pflegebedürftigen alten Menschen als Verlierer der Reform.

Er weiß auch, dass dieses Problem auf Bundesebene gelöst werden muss. Und die betroffenen Bewohner wollen sich Gehör verschaffen. „Als Heimbeirat allein kommen wir nicht weiter“, sagt dessen Mitglied Werner Grosser. „Wir brauchen Unterstützung im Großen, auch die Unterstützung anderer Heime.“

Katrin Budde schlug den Senioren vor, in Berlin zu demonstrieren

Der Bewohnerbeirat hat das Thema bei einem Angehörigenabend zur Sprache gebracht, hat Landespolitiker eingeladen und außerdem das Gespräch mit den Bundestagsabgeordneten Katrin Budde (SPD) und Manfred Behrens (CDU) gesucht.

Und war danach doch etwas enttäuscht über die „relativ geringe Kenntnis der Problematik“, wie Mathias Strutz es formuliert. Katrin Budde habe vorgeschlagen, die Betroffenen sollten mit einer Demonstration vor dem Reichstagsgebäude in Berlin auf ihre Lage aufmerksam machen. Die finden das wenig überzeugend: „Wir können doch nicht mit dem Rollstuhl oder Rollator auf die Straße gehen.“

Die Protestierenden bleiben weiter unter sich. Mit den Problemen vor Ort. Wenn die Rente nicht mehr reicht, müssen Bewohner ans Ersparte gehen, sagt Werner Grosser. Wenn das aufgebraucht sei, müsse die Familie zahlen, und wenn die das auch nicht mehr könne, bleibe nur noch der Gang zum Amt. „Da kann ich dann um 100 Euro bitten“, sagt der 78-Jährige mit bitterem Unterton.

„Es trifft gerade die Generation, die nach dem Krieg alles aufgebaut hat"

Dann sagt er, was ihn am meisten stört: „Es trifft gerade die Generation, die nach dem Krieg alles aufgebaut hat. Mütter haben gehungert, damit ihre Kinder was zu essen hatten.“ Er zitiert aus dem Grundgesetz: „Im Artikel 1 heißt es, die Würde des Menschen ist unantastbar. Wo bleibt meine Würde?“

Grossers Mitbewohner sehen das ähnlich: „Wie fühlt man sich, wenn man von den Kindern ernährt werden soll?“, fragt eine Frau in die Runde. „Man traut sich abends keine Schnitte mehr zu essen.“

„Wir haben Angst, dass das so weitergeht“, sagt Grosser. Strutz setzt hinzu: „Sämtliche Erhöhungen der vergangenen drei Jahre sind ausschließlich von den Bewohnern getragen worden.“ (mz)